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Gewerkschaft für Schwarzfahrer in Stockholm

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Billiger als eine Monatskarte: Stockholmer SchwarzfahrerInnen haben eine Versicherung, die Bußgelder bezahlt. Ein Gespräch mit Christian Tengblad

Christian Tengblad ist Aktivist bei der Kampagagne "Planka" in Stockholm – einer Art Gewerkschaft oder Versicherung für Schwarzfahrer. Auf deutsch heißt "Planka" soviel wie "Schwarzfahren"

Der Vertrag für den Betrieb der Stockholmer U-Bahn wird jetzt neu ausgeschrieben – unter anderem bewirbt sich die Deutsche Bahn AG. Wem gehört die U-Bahn und wer betreibt sie zur Zeit?

Sie ist zwar im Besitz der Provinzregierung, aber alle Aufgaben werden an private Unternehmen vergeben. Die U-Bahn wird jetzt seit fast neun Jahren von Veolia betrieben, einem französischen Konzern. Die Busse dagegen werden von neun verschiedene Firmen betrieben.

Die StockholmerInnen sind mit Veolia zwar unzufrieden, stellen aber nicht das System der Privatisierung öffentlicher Aufgaben in Frage. Die meisten denken, man habe bloß den falschen Betreiber ausgewählt.

Habt ihr die Befürchtung, dass ein deutsches Unternehmen härtere Repressionsmaßnahmen gegen SchwarzfahrerInnen einführt?

Sie können nicht schlimmer als Veolia sein, und sie werden im gleichen juristischen Rahmen arbeiten müssen.

In Stockholm kann man eine Versicherung kaufen für den Fall, daß man beim Schwarzfahren erwischt wird. Wie hat das Projekt angefangen?

Es war im Anschluß an den "heißen Sommer" im Jahr 2001. Damals gab es eine riesige Mobilisierung gegen den EU-Gipfel in Göteborg und auch viel Repression durch die Polizei. Danach haben viele Aktivisten darüber nachgedacht, wo sie ihre Energie künftig investieren wollen. Es gab eine zunehmende Ausrichtung auf Aktivismus am Arbeitsplatz und am Wohnort.

Im Herbst jenes Jahres wurde in Stockholm der Preis für die Monatskarte von 450 auf 500 Kronen (48 auf 53 Euro) angehoben. Im Syndikalistischen Jugendverband (SUF) begannen die Überlegungen für eine Kampagne, denn das war für viele Mitglieder damals schon unbezahlbar.

Das Schwarzfahren war ohnehin schon weit verbreitet. Wir gründeten also "Planka" und organisierten Proteste: Massenschwarzfahren oder Demonstrationen in den U-Bahn-Zugängen. Wir richteten sogar ein Frühwarnsystem ein, mit dem wir per SMS vor Kontrollen in den Bahnhöfen warnten. Aber die Aktionen erreichten eigentlich nur politische AktivistInnen, und die SMS-Ketten wurden mit der wachsenden Größe der Kampagne schwer zu verwalten. Was die Kampagne am Laufen hielt, war dann die "Ticketkasse".

Die meisten politischen Kampagnen laufen weniger als ein Jahr, aber diese Kasse gab den Leuten einen wirtschaftlichen Grund, um weiterzumachen - sie gab uns auch eine feste finanzielle Grundlage für die politische Arbeit. Das wäre vielleicht eine Lehre für andere Kampagnen...

Wie funktioniert die Ticketkasse?

Jedes Mitglied zahlt 100 Kronen (etwa zehn Euro) im Monat ein. Falls es beim Schwarzfahren erwischt wird, schickt es den Strafzettel (in Höhe von 1200 Kronen) an uns – wir bezahlen ihn dann. Wie bei einer normalen Versicherung gibt es auch bei uns eine Selbstbeteiligung, das sind jeweils 100 Kronen. Unter dem Strich ist das für den einzelnen weit günstiger als die 690 Kronen, die heute für eine Monatskarte in Stockholm fällig sind.

Wie viele Menschen beteiligen sich?

Die Zahlen gehen rauf und runter. Momentan zahlen etwa 500 Menschen ihre Beiträge, es waren aber schon fast 1000. Die Verwaltungsarbeit wird abwechselnd durch Freiwillige erledigt – nach sieben Jahren haben wir die Routine ziemlich gut drauf. Geld, das übrig bleibt, wird für politische Zwecke ausgegeben, z.B. für den Kauf von Monatskarten für sogenannte Illegale.

Aber gehen die Verkehrsbetriebe nicht offensiv gegen "Planka" vor?

"Planka" bewegt sich mit seinen Aktionen in einer juristischen Grauzone. Die WächterInnen mit den gelben Westen an den Eingangsschaltern können manchmal ziemlich aggressiv sein, aber dürfen niemanden festnehmen. Sie werden in der Regel ignoriert, und dadurch sinkt ihre Arbeitsmoral. Die UnternehmerInnen versuchen, sie unter Druck zu setzen, aber im Endeffekt haben sie keine persönliche Motivation, gegen "SpringerInnen" vorzugehen.

Gibt es aber nicht WächterInnen, die quasi "aus Spaß" besonders aggressiv sind?

Die meisten WächterInnen machen - wie gesagt - nur einen Billigjob und sind entsprechend unmotiviert. Aber es gibt auch WächterInnen mit Uniformen und Dienstmarken, und sie leben für den Job.

Finden viele Kontrollen in den U-Bahnen statt?

Früher waren es mehr. Die Betriebe setzen vor allem auf die "gelben Westen" an den Eingängen, um die Leute einzuschüchtern. JedeR muß an ihnen vorbeilaufen, aber wie gesagt, sie können nichts machen. In den Zügen selbst gibt es sehr selten Kontrollen.

Welchen Konktakt hat "Planka" zu ArbeiterInnen in den Verkehrsbetrieben?

Wir glauben, dass wir gemeinsame Interessen mit den ArbeiterInnen des öffentlichen Verkehrs haben, besonders mit den BusfahrerInnen. In letzter Zeit waren BusfahrerInnen immer wieder Opfer von Raubüberfällen, weswegen keine Fahrkarten mehr in Bussen verkauft werden. Trotzdem sollen die FahrerInnen jede Fahrkarte am Eingang kontrollieren, was die Fahrtzeiten massiv erhöht.

Welche anderen BündnispartnerInnen hat "Planka"?

Die schwedische Linkspartei hat auf ihrem letzten Parteitag einen Antrag beschlossen, der unsere Forderung nach einem kostenlosem öffentlichen Verkehrssystem unterstützt. Aber sie arbeiten selber nicht an der Umsetzung.

Wir machen in letzter Zeit professionellere Lobbyarbeit, z.B. haben wir einen Bericht über die Kosten und Auswirkungen einer neuen Stadtautobahn in Stockholm ausgearbeitet, zusammen mit Umweltverbänden. Auch große Organisationen wie die Schwedische Naturstiftung, die sonst Probleme mit der außerparlamentarischen Linken haben, haben hier mit uns kollaboriert.

Was sind eure Forderungen?

Wir wollen das Konzept der Finanzierung durch Fahrkarten in Frage stellen. Denn selten wird gefragt, wieviel dieses System kostet: der Druck und der Verkauf der Fahrkarten, die Installation und Wartung der Eingangsschalter, das ganze Personal, das die Eingänge überwacht, die längere Fahrtzeiten für Busse usw. usf. - das alle kostet Geld. Es scheint irgendwie "natürlich", Fahrkarten zu verwenden, aber wir wollen die Frage umdrehen.

Zum Beispiel kostet einer von diesen neuen Eingangsschaltern mit Glastüren 110.000 Kronen. Diese neue Technik sollte Schwarzfahren eigentlich unmöglich machen, aber sie ist leicht zu umgehen. Jetzt müssen daher auch an diesen Türen WächterInnen eingesetzt werden.

Es geht sogar so weit, dass die Verkehrsbetriebe sogenannte "GeheimeinkäuferInnen" einsetzen, die das Verhalten der BusfahrerInnen kontrollieren. Durch diesen Druck sind sie so streng geworden, dass sie sogar kleine Kinder auf dem Weg von der Schule nach Hause, die ihre Brieftaschen verloren haben, aus dem Bus rauswerfen.

Durch all das wird der öffentliche Verkehr immer teurer. Wir aber sagen: öffentlicher Verkehr muß ein Recht für alle sein. Man muß ja auch kein Ticket kaufen, um den Bürgersteig benutzen zu können!

 

Interview von Wladek Flakin, von der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION: http://www.revolution.de.com

eine kürzere Version des Interviews erschien in der jungen Welt vom 27.8.: http://www.jungewelt.de/2008/08-27/037.php

eine kurze Selbstdarstellung auf Deutsch: http://www.planka.nu/international/auf-deutsch

Rechtstipps zum Schwarzfahren in Deutschland: http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/tipps/alltag.html#schwarz

Quelle: de.indymedia.org vom 30.08.08

 

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