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Generalstreik in Belgien - gegen Erhöhung des Rentenalters

Belgiens Arbeiter legten das Land am Freitag erneut lahm. Demonstration von 100000 in der Hauptstadt.

Generalstreik Nr. 2 - Gegen »Rentenreform« der Regierung Verhofstadt: Zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen bewegte sich im ganzen Land nichts mehr, außer bis zu 100000 Demonstranten in Brüssel sowie die Züge der Staatsbahn SNCB, die die Streikenden in die Hauptstadt gebracht hatten. Die Botschaft der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sowie zahlreicher Groß- und Kleinbetriebe, die sich dem Ausstand anschlossen, lautete: Keine Erhöhung des Rentenalters! Diese könnte im benachbarten Deutschland, wo die große Koalition gerade die Lebensarbeitszeit um weitere zwei Jahre ausdehnen will, von großem Interesse sein. Indes: Viele deutsche Medien, allesamt wichtige Meinungsträger, hüllten sich weitgehend in Schweigen oder hatten lediglich Randnotizen von den belgischen Arbeitern übrig.

»Warum sollten die Alten länger arbeiten, obwohl die Jungen keinen Job finden«, erklärte ein 25jähriger Erdölarbeiter aus Antwerpen die Position der Streikenden. »Das würde uns ein Jahrhundert zurückwerfen.« Die Arbeitslosenquote der jungen Menschen liegt in Belgien bei 19 Prozent, im Durchschnitt sind acht Prozent der Erwerbsfähigen ohne Job. In den vergangenen Jahren waren ähnlich wie in Deutschland bereits durch wachsende Arbeitshetze, längere Wochenarbeitszeiten sowie immer höhere Überstundenzahlen Zehntausende potentielle Arbeitsplätze vernichtet worden. Die Ankündigung der sozialdemokratisch-liberalen Regierung, daß Beschäftigte künftig nicht mehr mit 58, sondern frühestens mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen können, hatte das Faß des Unmuts nunmehr zum Überlaufen gebracht.

Für ältere Beschäftigte droht mit der »Reform« nach einem langen Berufsleben die Abschiebung in die Erwerbslosigkeit oder in schlecht bezahlte prekäre Jobs. »Wir sollen arbeiten, bis wir tot umfallen«, brachte es ein Eisenbahnarbeiter auf den Punkt. Bereits am 7. Oktober, beim ersten Generalstreik seit zwölf Jahren, hatte sich der Druck auf Ministerpräsident Guy Verhofstadt erhöht. Trotzdem schloß er weiter Kompromisse aus und drohte kategorisch mit dem Staatsbankrott: Wenn nicht länger gearbeitet werde, könnten künftige Rentenansprüche nicht mehr bezahlt werden.

Der neoliberalen Arroganz der Regierenden traten diesmal beide großen Gewerkschaftsbünde entgegen: Hatte am 7. Oktober die sozialistische ABVV-FGTB noch allein dagestanden und trotzdem – getragen von einer Solidaritätswelle – das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt, so stimmte diesmal auch der Vorstand des christlichen ACV-CSC einstimmig für Kampfaktionen. Und so glich Brüssel am Freitag einer Stadt im Belagerungszustand. Bis in den späten Nachmittag hinein demonstrierten Beschäftigte aus allen Teilen des Landes. Gewerkschaftsfahnen und riesige rote Ballons prägten das Bild. Auf Transparenten und in Sprechchören wurde das Trauerspiel um Arbeitsplätze für junge Menschen ebenso beklagt wie der Wille zur Solidarität der Generationen bekräftigt. Diese wird auch weiterhin nötig sein. »Wenn wir keine positive Antwort bekommen, wird die Stimmung hitziger«, erklärte der Chef der sozialistischen Gewerkschaft, Xavier Verboven. Der nächste Generalstreik ist für den 21. November angekündigt.

Quelle: Junge Welt vom 29.10.05

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