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Die Überflüssigen besuchen Kaisers

Am 23.2.09 besuchten einige Überflüssige, einen Tag vor der Urteilsverkündung beim Arbeitsgericht in Berlin, einen Kaiser's Supermarkt in Berlin. Um dort auf die anderen dort anwesenden Überflüssigen auf den Fall von Emmely aufmerksam zu machen und gerechte Arbeitsbedingungen für alle Menschen zu fordern.

Die Kassiererin Emmely wurde von Kaiser's gekündigt, weil sie nach 31 Betriebsjahren Pfandbons für 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Tatsächlich wollte Kaiser's Emmely loswerden, weil sie aktiv am ver.di-Streik 2007/2008 teilgenommen hat.

Die Überflüssigen haben am Vorarbend der Urteilsverkündigung im „Fall Emmely“ eine Filiale der Supermarktkette Kaiser’s gestürmt und dort für Aufsehen gesorgt. Gekleidet in ihre Markenzeichen, rote Kapuzenpullover und weiße Masken, brachten sie kurzzeitig das Geschäft an der Greifswalder Straße in Berlin zum Erliegen. Für die MitarbeiterInnen von Kaiser’s brachten sie Blumen mit, für die Verantwortlichen und EinkäuferInnen deutliche Worte.

Die Überflüssigen machten mit ihrer Aktion auf die fristlose Kündigung von Emmely aufmerksam, die über dreißig Jahre für Kaiser’s gearbeitet hatte und unter dem Verdacht, einen Pfandbon im Wert von 1,30 veruntreut zu haben, entlassen wurde. Dies wurde ihr aber nie nachgewiesen. Vorher hatte Emmely den Streik in Ihrer Filiale mitorganisiert. Der Prozess hatte ein breites Medienecho ausgelöst und führte zu regelmäßigen Solidaritätsbekundungen.

Die Überflüssigen kritisieren neben dem Umgang mit Emmely die Möglichkeit der ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen auf Verdacht zu kündigen, ohne das ein Fehlverhalten nachgewiesen werden muss. „Mit der Verdachtskündigung wird der Protest von ArbeitnehmerInnen systematisch unterdrückt“, sagt Alexa Bunter von den Überflüssigen.

Die Überflüssigen haben sich bereits in der Vergangenheit in soziale Konflikte eingemischt. Sie bezeichnen sich als die politisch und ökonomisch Ausgegrenzten der Gesellschaft. Jetzt wollen sie sich selbst das Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung erkämpfen. „Eine andere Welt, in der wir selbst entscheiden, was, wie und wofür wir arbeiten, ist möglich, wenn wir dafür kämpfen“, so Alexa Bunter von den Überflüssigen.

Weitere Infos: emmely.org

Quelle: indymedia vom 2.3.09

 

Willkür wie zu Kaisers Zeiten

Wie ein demokratieallergischer Konzern und privat honorierte Teile der deutschen Justiz den Schulterschluss im Fall "Emmely" üben.

Wer in Deutschlands Arbeitswelt seine verfassungsmässigen Rechte wahrnimmt, wer gar in der Gewerkschaft ist und an Streiks teilnimmt, sollte in Zukunft nicht nur seinen Anwalt ständig in Rufweite haben, sondern bei seiner Arbeit auch polizeilichen Schutz in Form amtlicher Verfilmung seiner beruflichen Tätigkeit anfordern.

Das lehrt zumindest der Fall Kaiser's gegen Barbara E., inzwischen auch als "Emmely" bekannt.

Wegen des Verdachts auf Diebstahl von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro wurde Barbara E., eine Mitarbeiterin bei Kaiser's nach 30-jähriger Tätigkeit im Supermarkt fristlos entlassen. Die Betonung liegt auf Verdacht, denn ein Beweis liegt nicht vor. Die Mitarbeiterin bestreitet die Tat. Angeblich soll die Frau zwei Pfandbons im besagten Wert von 1,30 Euro an der Kasse einer Kollegin eingelöst haben.

Nun werden die Vorgänge an den Kassen bei Kaiser's per Videokameras überwacht. Seltsamerweise erfolgte die Anschuldigung gegen die Kassiererin erst nach mehreren Tagen, als die Videoaufnahmen des Kassenbereichs bereits gelöscht waren.

Alles nur Zufall?

Der Tengelmann-Konzern ist kein Waisenkind, was die Beschneidung verfassungsmässiger Rechte angeht. Das zeigt der Fall kik in Österreich. Wie Kaiser's gehört die Textilhandelskette Kik zum Tengelmann-Konzern.

Anfang des Jahres 2007 schreibt der kik-Fillialleiter Andreas Fillei eine Betriebsratswahl aus und wird kurz danach vom Management des Tengelmann-Konzerns fristlos entlassen; ausserdem erhält er Hausverbot für alle KiK-Filialen. Am 22. Februar wird das Hausverbot gegen Fillei durch eine einstweilige Verfügung des Arbeits- und Sozialgerichts Wien aufgehoben, zudem wird gerichtlich angeordnet, dass noch im März 2007 Betriebsratswahlen bei Kik-Tengelmann durchzuführen sind.

Das Konzernmanagement versucht, diese Anordnung zu unterlaufen, indem die Liste des gekündigten Andreas Fillei vom Wahlzettel gestrichen wird. Diese Streichung muss wieder zurückgenommen werden. Inzwischen erreichen Tausende von Protest-Mails die Zentrale von kik-Tengelmann. Mitte Mai nimmt der Konzern die fristlose Kündigung von Andreas Fillei zurück und Ende Juni/ Anfang Juli 2007 wird erstmals ein Betriebsrat bei kik-Tengelmann in Österreich gewählt.
(Quellen: KURIER-Feburar 2007, orf.at-14.3.2007 und 2.07.2007)

Kaiserliche Rechtsauffassung

Die Konzernleitung von Kaisers-Tengelmann in Deutschland muss ihre Lektion in Sachen Rechtsstaat und Demokratie anscheinend noch lernen.

Deutschlands Arbeitsgesetze erleichtern diesen Lernprozess allerdings nicht unbedingt. Denn es gibt da den Paragraphen 626 II BGB der Verdachtskündigung, ein Relikt aus Kaiser Wilhelms Zeiten, der in wechselndem Gewande seinen Weg durchs "Dritte Reich" bis in unsere Republik gefunden hat.

Ein Arbeitgeber kann demnach einen Arbeitnehmer fristlos entlasen, wenn zum Beispiel der "begründete Verdacht" einer Straftat besteht. Beweisen muss der Arbeitgeber die Tat nicht, es muss nur ein begründeter Verdacht bestehen. Was als "begründet" zu verstehen ist, bleibt dem Urteil des jeweiligen Gerichts überlassen.

Abwehren kann ein Beschuldigter eine solche Verdachtskündigung nur, wenn er seine Unschuld beweisen kann. Das widerspricht nicht nur eklatant internationalem Recht, sondern auch den Prinzipien der deutschen Verfassung, denn zu den Grundrechten gehört die "Unschuldsvermutung" eines Verdächtigten.

Wenn der Verdächtige "Glück" hat, findet er Richter, die ihren Ermessensspielraum im Sinne der Verfassung nutzen. So liess das hessische Landesarbeitsgericht (4/12 Sa 523/07) eine Verdachtskündigung daran scheitern, weil "der Arbeitgeber nicht alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen habe".

Wer wie im Falle Kaisers-Tengelmann Videoaufnahmen von den fraglichen Kassenvorgängen verloren gehen lässt, hat wohl kaum "alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen".

Wie gesagt, wer als Verdächtiger "Glück hat", trift auf solche Richter wie bei diesem Urteil (4/12 Sa 532/07), wer allerdings "Pech hat", wie im Falle Kaiser's gegen Barbara E., trifft auf Richter, die sogar in Seminaren auftreten, in denen Managern gelehrt wird, wie sie das Mittel der Verdachtskündigung "erfolgreich" einsetzen können.

So hält Richterin Daniele Reber, die am Berliner Arbeitsgericht gegen Barbara E. entschieden hat, nebenher Referate für Führungskräfte bei FORUM ab, einem"Institut für Management". xxxxx://www.bwb-law.de/fileadmin/pdf-dokumente/Forum-Arbeitsrecht.pdf

Das FORUM-Institut gehört zum Springer Science Business Media Konzern und "beschäftigt sich mit der beruflichen Weiterbildung von Führungskräften". Für seine Seminare verlangt das FORUM-Institut auch schon mal um die 1.300 Euro. Pro Teilnehmer versteht sich.

Unter anderem geht es in den FORUM-Seminaren, in denen auch die Arbeitsrichterin Vorträge hält, um "Taktische Erwägungen im Kündigungsschutzprozess" und "Nachschieben von Kündigungsgründen/Folgekündigungen" .

Ein Spezialseminar der Richterin wird wie folgt angeboten: "In dem Seminar sollen die Prüfungsschritte für eine Sozialauswahl systematisch dargestellt und diskutiert werden, um zu einem angemessenen, einer gerichtlichen Überprüfung standhaltenden Auswahlergebnis zu gelangen."

Die fristlos auf Verdacht hin von Kaiser's-Tengelmann gekündigte Kassiererin will weiter den Rechtsweg beschreiten. Sie lebt heute von HartzIV und musste in eine billigere Wohnung umziehen. Was ihr am meisten zu schaffen macht, ist die erlittene Ungerechtigkeit, ihre Verurteilung nur auf Verdacht hin und dass ihr guter Ruf geschädigt wurde. Barbara E. ist keine geborene Jeanne d'Arc, sondern eine einfache Frau, die ihr Leben lang im Supermarkt gearbeitet hat, Mutter dreier Kinder, die sie allein durchbringen musste.

Sie könnte auf ihrem Weg durch die Instanzen allerdings nicht nur ein verfassungskonträres Gesetz zu Fall bringen, sondern neben Arroganz und Willkür eines Konzerns auch die Praxis anrüchiger Nebentätigkeiten, die bei einigen - hoffentlch nur wenigen - Mitgliedern der Justiz inzwischen üblich zu sein scheint.

Eine Chronologie
http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/eh/kaisers.html

Quelle: indymedia vom 2.3.09
 

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