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Bremen: 2. Umsonstfahrtag

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Mit Blick auf den UN-Klimagipfel in Kopenhagen hat gestern unter dem Motto „Für ein ganz anderes Klima – hier und anderswo!“ der 2. Bremer Umsonstfahrtag stattgefunden.

Anders als beim ersten Umsonstfahrtag am 16. Mai 2009 ( http://de.indymedia.org/2009/05/250697.shtml) gab es dieses Mal – gleichsam als Zugabe – eine angemeldete Demo. Ansonsten war alles wie gehabt: Die lokalen Medien waren einmal mehr außerst interessiert – auch im Vorfeld. Demgegenüber hat sich das Interesse auf Seiten der linken Szenerie deutlich in Grenzen gehalten - ein Dilemma, welches sich ja auch in der aktuellen Mobilisierung für Kopenhagen widerspiegelt.

Doch von vorne: Mit dem Umsonstfahrtag hat das Bremer Klimaplenum (mindestens) drei Ziele verfolgt: Erstens sollte auf die klimapolitische Notwendigkeit hingewiesen werden, den individuellen Autoverkehr (als einer der größten C02-Emittenten) drastisch runterzufahren – bei gleichzeitigem Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. Zweitens ist dies mit der aneignungsorientierten Forderung einhergegangen, dass Mobilität genauso wie Bildung, Gesundheit oder Energie ein Grundrecht darstelle und deshalb umsonst zur Verfügung gestellt werden müsste (ob direkt oder vermittelt über ein bedingungsloses Grundeinkommen). Drittens wollte das Bremer Klimaplenum mit dem Umsonstfahrtag einen konkreten Beitrag zur Mobilisierung nach Kopenhagen leisten – in diesem Zusammenhang ist uns insbesondere die internationalistische Perspektive wichtig gewesen, also der Umstand, dass der Klimawandel bislang vor allem auf Kosten der ohnehin armen bzw. ärmsten Menschen in der Peripherie bzw. im globalen Süden geht. Diese dreifache Programmtik ist keineswegs zufällig, ihr liegt vielmehr das politische Selbstverständnis des Bremer Klimaplenums zugrunde: Danach sollte sich linke Klimapolitik nicht mit dem zwar richtigen, aber abstrakten Hinweis begnügen, dass der Klimawandel im Kern nur durch die Beseitigung des Kapitalismus zu verhindern bzw. einzudämmen sei. Vielmehr sollte es stets auch darum gehen, unter klimapolitischen Vorzeichen die konkreten Materialisierungen des Kapitalismus auf die Hörner zu nehmen, d.h. sich konkret mit Verkehr, Energieproduktion, industrieller Landwirtschaft, Überproduktion etc. zu beschäftigten – genauso wie mit globalen Macht- und Herrschaftsverhältnissen sowie den unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels in der Gegenwart (von zusätzlichem Hunger über Überschwemmungen bis hin zum verstärkten Auftreten von Epedimien wie Malaria oder Cholera).

So weit die Theorie, jetzt zur Praxis des gestriges Umsonstfahrtags: Begonnen hat es um 11 Uhr – an einem (angemeldeten) Infopunkt vorm Hauptbahnhof: Dort sammelten sich mehrere Dutzend UmsonstfahrerInnen in kleinen Gruppen, um anschließend in Bussen und Bahnen Flyer zu verteilen und klimapolitische Gespräche mit den Fahrgästen zu führen. Die FahrerInnen der Bremer Straßenbahn AG waren zwar angewiesen, via Lautsprecher darauf hinzuweisen, dass es sich beim Bremer Umsonstfahrtag um Schwarzfahrerei handeln würde, doch praktisch ist es kaum zu Problemen gekommen, zumindest ist weder Polizei noch Wachschutz in Erscheinung getreten.

Ab 13 Uhr wurde sich dann zu einer Demo vorm Bremer Hauptbahnhof gesammelt: Statt einer klassischen Auftaktkundgebung hat anfangs ein kleines Tribunal zum Klimawandel stattgefunden – allerdings nicht in Gestalt von Redebeiträgen, sondern als Interviews mit zwei Flüchtlingsaktivisten: Im ersten Interview berichtete ein Aktivist aus der Elfenbeinküste, inwieweit der Klimawandel dort für die Bauern und Bäuerinnen schon lange Realität ist, insbesondere im Zusammenspiel mit den Abholzungen des tropischen Regenwaldes. Konkret hätten sich die Regenmenge und die Regenzeiten verändert, dadurch sei das Saatgut nicht mehr angepasst und es komme zu immer größeren Ernteausfällen. Besagter Aktivist ist auch Mitglied der aus dem Blankenburger Flüchtlingsstreik hervorgegangen HipHop-Combo „les refugies“ ( http://les-refugies.de/), deshalb rundete er seinen Beitrag mit einem Lied zu Klimwandel und Widerstand ab. Im zweiten Interview berichtete ein aus Nepal stammender (und ebenfalls in einer Bauernfamilie aufgewachsener) Aktivist der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“, inwieweit der Klimawandel nicht nur in Nepal, sondern in Südasien insgesamt zu ganz unterschiedlichen Effekten führe: Zu Dürre, zu verschobenen Regezeiten, zu Überschwemmungen, zu Krankheiten (u.a. Cholera und Malaria) sowie zu Wetterextremen wie Hagel, welche die Ernte zerstören würden. Er machte außerdem deutlich, dass ein nicht unerheblicher Teil des in China und Indien ausgestoßenen CO2 von westlichen Industrieunternehmen stamme. In diesem Sinne forderten beide Flüchtlingsaktivisten, dass in Kopenhagen die reichen Industrieländer den ersten Schritt machen müssten, vor allem gelte es, den Ländern der Peripherie endlich die Chance zu einer eigenständigten bzw. selbstbestimmten Entwicklung zu geben.

Im Anschluss brachen ca. 130 Leute zu einer Demo durch die Bremer Innenstadt auf, mit Redebeiträgen zur 'Notwendigkeit einer radikalen Wende in der Energiepolitik' (weg von Atomkraft und Kohle hin zu dezentralen erneuerbaren Energien), zu 'Klimawandel und Malaria' und zum 'Zusammenhang zwischen Überfischung, klimawandelbedingter Übersäuerung der Meere und Flucht (und somit dem Kampf von Frontex & Co. gegen Flüchtlinge und MigrantInnen)'.

Schließlich noch ein Wort zu den Medien, denn diese agierten – wie schon angedeutet – ausgesprochen gnädig: Alle hatten zwar auf dem Schirm, dass bereits der erste Umsonstfahrtag in zahlenmäßiger Hinsicht kein besonderer Knaller war, dennoch berichteten die meisten von ihnen bereits im Vorfeld – und das durchaus gewogen (u.a. taz, Radio Energy, Center-TV, Weserkurier, Bremer Anzeiger). Ähnlich freundlich ist die Berichterstattung im Anschluss gewesen – mit Berichten u.a. in den Abendnachrichten des Dritten Progamms und in der Sonntagsausgabe des Weserkuriers.

Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte deutlich werden, wie unbefriedigend die niedrige Teilnahme seitens der linken Szenerie gewesen ist. Denn an mangelender Werbung kann es nicht gelegen haben: Neben der Vorberichterstattung in den Mainstream-Medien haben zwei inhaltliche Mobilisierungsveranstaltungen stattgefunden (von der die eine mit knapp 80 Leuten rappelvoll war – Hauptthema war dort Kopenhagen); es wurden außerdem 800 Plakate verklebt, mehrere tausend Flyer verteilt und hunderte Spuckis angebracht – von der virtuellen und direkten Mobilisierung ganz zu schweigen. Nein, wesentlicher dürfte sein, dass der Klimawandel für viele Linke immer noch ein Diskursthema ist und lediglich punktuell Verknüpfung mit realen Protesten bzw. Widerstandspraxen aufweist. Außerdem scheinen noch viele Linke – genauso wie der große Rest der Gesellschaft – vor den realen Konsequenzen zurückzuschrecken, welche die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel nach sich zieht: Wer den Klimawandel bekämpfen möchte, muss sich für eine drastische Reduzierung dessen einsetzen, was gemeinhin als „westlicher“ Wohlstand bzw. Lebensstandard bezeichnet wird (und was die konkrete Ausbuchstabierung dessen bedeutet, wenn von der Abwrackung des wachstumsbasierten Kapitalismus die Rede ist). Das aber fühlt sich erstmal scheiße an – vor allem stiftet es verdammt viele Widersprüche und Ambivalenzen. Will die Linke ein ernsthafter Akteur hinsichtlich des Klimawandels werden (auch in Kooperation mit sozialen Bewegungen im Süden), dann ist diesbezüglich noch verdammt viel zu tun – die Proteste in Kopenhagen könnten sich insofern auch als inspirierende Chance bzw. als erster Schritt in die notwendige Richtung entpuppen.

Mehr Infos unter:  http://klimaplenum-bremen.blogspot.com/

Quelle: indymedia vom 22.11.09
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