»Wir gehen nicht«
Erwerbslose campieren vor der Arbeitsagentur in Aschersleben. Ein Gespräch mit Tommi Sander
Tommi Sander ist einer der Sprecher der »Interessengemeinschaft contra Sozialabbau Aschersleben-Staßfurt«
Sie campieren seit Montag vor dem Job-Center in Aschersleben (Sachsen-Anhalt). Warum?
Wir protestieren, weil ab dem 1. August die verschärften
Hartz-IV-Regeln gelten, das sogenannte Fortentwicklungsgesetz. Das
schreibt vor, daß Arbeitslose Tag und Nacht für die Arbeits-
beziehungsweise die Jobvermittlung erreichbar sein müssen. Deswegen
haben wir gedacht, es sei am sinnvollsten, wenn wir hier Tag und Nacht
anwesend sind, um die vielen Jobangebote entgegenzunehmen, die man uns
verspricht.
Im Prinzip nichts. Das Arbeitsamt hätte es natürlich gerne, daß man telefonisch von 8 bis 20 Uhr erreichbar sein muß. Warum dann nicht auch gleich die ganze Nacht über? Es ist doch makaber, wenn man auf der einen Seite verpflichtet wird, sich acht Stunden pro Tag um Arbeit zu bemühen, aber gleichzeitig permanent erreichbar sein muß.
Wir haben die letzte Nacht vor dem Arbeitsamt gezeltet oder in Schlafsäcken auf dem Rasen gelegen. Es waren 15 bis 20 Leute hier, wir haben uns abgewechselt. Und wenn jemand mal auf die Toilette mußte, hat er natürlich sein Handy mitgenommen. Wir müssen ja jederzeit erreichbar sein ...
Die Besucher des Arbeitsamtes sind begeistert von unserer Aktion. Viele meinen, daß wir eigentlich noch zu wenig machen und viel zu harmlos seien.
Und was sagen die Angestellten der Arbeitsagentur dazu?
Die
haben bisher überhaupt nicht reagiert. Kein einziger Mitarbeiter ist
bis jetzt auf uns zugekommen, um das Gespräch zu suchen. Die geben sich
Mühe, uns zu übersehen. Die Stadtverwaltung will uns hier jedenfalls
weghaben. Ein Abteilungsleiter des Ordnungsamtes hat uns angedroht, daß
unser kleines Camp am Dienstag abend beseitigt wird, falls wir bis
dahin nicht alles selbst abgebaut haben. Das werden wir jedenfalls
nicht tun – ich habe dem Beamten also gesagt, daß er dann eben alles
räumen lassen soll.
Was tun Sie, wenn die Polizei anrückt?
Dann lassen wir uns eben wegtragen. Freiwillig gehen wir auf keinen Fall.
Haben Sie Bündnispartner für Ihre Protestaktion?
Inoffiziell werden wir von ver.di, offiziell von der Linkspartei
unterstützt; insbesondere von der Bundestagsabgeordneten Elke Reinke.
Hinzu kommen einige andere Organisationen. Wir hatten aber auch nicht
viel Zeit, Unterstützer zu gewinnen – das Ganze ist eine Spontanaktion,
die wir weder angekündigt noch angemeldet haben.
Planen Sie weitere Aktionen? Etwa gegen die zunehmenden
Kontrollen durch Außendienstmitarbeiter der Arbeitsagentur? Oder gegen
Zwangsumzüge?
Das eine oder andere haben wir uns schon überlegt, ich will aber vorher
nichts verraten. Gegen die Zwangsumzüge werden wir auf jeden Fall
vorgehen. Selbstverständlich auch gegen die Kontrollen.
Quelle: Junge Welt vom 2.8.06