20 000 Karten fürs Sozialticket
Düsseldorf: Aktionskreis sozialer Einrichtungen fordert billiges Monatsticket für Arme. Seit Ende April wurden in Düsseldorf rund 20 000 Postkarten verteilt, mit denen - ausgefüllt und ans Rathaus geschickt - die Bürger die Einführung eines Sozialtickets fordern konnten.
Die letzten 1800 Karten wurden jetzt vor dem Rathaus übergeben. Oberbürgermeister Dirk Elbers war zu diesem Termin zwar verhindert, doch Sozialdezernent Burkhard Hintzsche nahm die Karten im Empfang. „Jeder Mensch hat das Recht, sich in seiner Stadt frei bewegen zu können, Freunde zu treffen, Veranstaltungen zu besuchen - auch in anderen Stadtteilen. Zudem sind viele Arme auf Hilfs- und Beratungseinrichtungen in der ganzen Stadt angewiesen“, erklärt Pater Wolfgang Sieffert von der Altstadt-Armenküche die Forderung.
Die Postkarten wurden unter anderem in der Armenküche sowie in Einrichtungen der Diakonie und der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) verteilt.
Ziel ist es, ein Monatsticket zum Preis von 15 Euro für arme Düsseldorfer Bürger einzuführen. In Städten wie Dortmund gibt es bereits ein solches Ticket.
Armutsatlas: KAB-Gruppen kämpfen gegen die Spaltung der Gesellschaft
Lasst euch nicht abhängen
Die 45-jährige Hannelore steht am Graf-Adolf-Platz in der Düsseldorfer Innenstadt und wartet mit ihrer zehnjährigen Sonja auf die Straßenbahn Richtung Flingern. Als die Bahn zu sehen ist, schaut sie sich noch einmal zu den übrigen Wartenden um und überlegt, ob sie einen Fahrschein lösen soll oder es mit Schwarzfahren versuchen soll. Dann hätten wir für morgen wenigstens noch 9,80 Euro, denkt sie. Als die Bahn vor ihr stoppt, hat ihre Angst, erwischt zu werden, gesiegt. Doch die Angst, was sie morgen für die 6,10 Euro zum Essen einkaufen soll, bleibt. „Wir erleben derzeit eine soziale Spaltung in unserer Gesellschaft. Menschen mit geringem Einkommen können sich keine Monatskarte in Höhe von 41,70 Euro leisten, wenn der Hartz-IV-Regelsatz für den Nahverkehr lediglich 11,23 Euro bereitstellt“, sagt Marita Lanze, Vorsitzende des Stadtverbandes der KAB in Düsseldorf.
Im April hatte die KAB gemeinsam mit der Initiative „Armut“, zu der das Projekt Fifty-Fifty, die Diakonie, Parteien und die Arbeitsloseninitiative gehören, und einigen Brüdern des Dominikaner-Ordens vor dem nordrhein-westfälischen Landtag für ein Sozialticket demonstriert. Die CDU-FDP-Landesregierung ließ erklären, dass die Kommune zuständig sei. Doch die CDU-/FDP-Koalition im Stadtrat der Landeshauptstadt hatte zuvor erklärt, dass die Höhe der Hartz-IV-Sätze nicht von ihr bestimmt wird. Die Initiative kämpft bereits seit zehn Jahren für die Einführung des Sozialtickets. Wer sich die Fahrt zum Arzt, zum Einkaufen oder auch zum Kinobesuch nicht mehr leisten kann, ist bald in der Gesellschaft abgehängt, meint Lanze. Nachdem einige Gesprächstermine mit Verantwortlichen aus der Stadt einfach nicht eingehalten wurden, setzt die KAB ihre Hoffnung auf das einstimmige Votum des örtlichen Katholikenausschusses für die Einführung eines Sozialtickets.
„Der aktuelle Armutsatlas des Paritätischen Gesamtverbandes belegt die soziale Spaltung innerhalb Deutschlands und einzelner Regionen und bestärkt unser Bemühen, ein Sozialticket für finanzschwache Haushalte einzuführen“, sagte KAB-Diözesansekretär Winfried Gather.
Einige Kilometer rheinabwärts kämpft die KAB im Kreis Wesel und Kreis Kleve im Forum Sozialticket gemeinsam mit Vertretern der Evangelischen Kirche, Gewerkschaften, Attac und den Grünen für eine kostengünstige Monatskarte für Bedürftige. Besonders hier auf dem Lande ist der öffentliche Nahverkehr ein wichtiges Stück Lebensqualität. Auch in Freiburg im Breisgau hatte sich die KAB im vergangenen Jahr eingesetzt. Gemeinsam mit über fünfzig anderen Initiativen und Organisationen hatte sich der KAB-Bezirk für einen Freiburg-Pass mit Sozialticket stark gemacht. Die Freiburger CDU-Stadträtin Ellen Breckwoldt rief ihre Ratskollegen auf, das Monatsticket für Bedürftige von 45,50 Euro auf 14 Euro zu verbilligen. „Was in anderen Städten und Regionen möglich ist, muss auch in Freiburg möglich sein“, sagte der ehemalige KAB-Bezirkssekretär Jack (Dieter) Förster.
Kostenargumente lässt die KAB nicht gelten. So verweist der Düsseldorfer Stadtverband auf andere Beispiele. Ob in Köln, Dortmund oder Unna, in vielen „ärmeren“ Städten ist das Sozialticket eingeführt worden. So haben sich die Berechnungen der Verwaltung von etwa 4 Millionen Euro Verlust in der Domstadt als übertrieben erwiesen. Letztendlich kostete die Einführung des Sozialtickets in Köln 900.000 Euro und hat zur verstärkten Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs geführt. Der Düsseldorfer Stadtverband will auch bei den anstehenden Kommunalwahlen Druck machen. „Obwohl die Stadt schon viel tut, können wir die Spaltung in einer so reichen Stadt wie Düsseldorf nicht einfach akzeptieren“, sagt Gather. Er rechnet mit bis zu 50.000 Betroffenen in der Landeshauptstadt.
Geteilte Republik
Deutschland fällt sozial immer stärker auseinander. In manchen Ost-Regionen sind die Armutsquoten bis zu viermal höher als im Süden der Republik. Danach ist Vorpommern bei der Armut Spitzenreiter: 27 Prozent der Bürger leben dort an oder unter der Armutsschwelle. In der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg um Villingen-Schwenningen im Süden der Republik sind es dagegen nur 7,4 Prozent. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, kritisierte die wachsende „regionale und soziale Zerrissenheit“. Begünstigt werde das „Auseinanderdriften“ auch durch Steuererleichterungen und das jüngste Konjunkturpaket mit der Abwrackprämie. Diese gingen an verarmten Bevölkerungsschichten „völlig vorbei“. Viele Regionen vor allem im Osten drohen nach Schneiders Worten „abgehängt“ zu werden. Von einheitlichen Lebensbedingungen könne man nicht sprechen. Rasches und konsequentes Gegensteuern sei nötig. Dazu gehöre auch, den Hartz-IV-Regelsatz von 351 auf 440 Euro anzuheben und die Konjunkturprogramme stärker regional auszurichten. Die Erhöhung koste 10 Milliarden Euro pro Jahr. Zudem kritisierte der Wohlfahrtsverband, dass die Bundesmittel für Zukunftsinvestitionen in Höhe von 10 Milliarden Euro zu einem Drittel in die drei Länder mit den niedrigsten Armutsquoten fließen. Dies sei „unsinnig und kontraproduktiv“ und müsse geändert werden.
Quelle: Düsseldorfer Anzeiger vom 02.09.2009