2. „Zahltag!“ an der ARGE Köln erfolgreich
Heute fand zum zweiten Mal in Köln der Aktionstag „Zahltag!“ gegen ARGE-Schikanen der Intitiative „agenturschluss“ statt. Bereits um 7.00h in der Frühe fanden sich zahlreiche AgenturschließerInnen ein, um den systematischen schikanösen Praktiken der ARGE gegen BezieherInnen von ALGII mit dem Aktionstag entschlossen entgegenzutreten.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt lag auf den entwürdigenden Praktiken vor Ort, z.B. im Kölner Modellprojekt „DiMa“. Unter Rückgriff auf die Erfahrungen des letzten „Zahltags!“ im Oktober wurden durch gegenseitige und entschlossene Begleitungen von durch ARGE-Schikanen Betroffenen bislang vorenthaltene Rechte und Forderungen gegenüber der ARGE unmittelbar durchgesetzt.
Bei Ankunft der "ZahltäglerInnen" waren bereits ca. 15 Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei vor dem Gebäude des Bezirksrathauses in Köln-Mülheim, in dem die ARGE untergebracht ist, aufgefahren. Während beim letzten „Zahltag!“ im Oktober AktivistInnen wie Erwerbslose zunächst auf Anweisung der ARGE-Leitung unter massivem Einsatz von Polizeigewalt und vorübergehenden Ingewahrsamnahmen am Betreten der ARGE gehindert werden sollten, konnte der Aufbau der Info-Tische, des umfangreichen Buffets und die Verschönerung des Gebäudes durch Transparente und Infotafeln zur jüngeren Geschichte des sozialen Widerstands diesmal ungehindert stattfinden.
Gegen 8:00h begannen AktivistInnen und Erwerbslose das Foyer in Beschlag zu nehmen.
Begleitet von einem Geigen-Duo und Sambarhythmen begann die öffentliche Versammlung im Gebäude der ARGE (in dem auch die örtliche Meldebehörde sowie die Stadtbilbliothek untergebracht sind), an der sich im Laufe des Vormittags zunehmend Erwerbslose mit einem „Anliegen“ bei der ARGE und andere Interessierte beteiligten. Zahlreiche Redebeiträge unter anderem zum entwürdigenden Modellprojekt „DiMa“ der ARGE Köln, begleiteten über den Tag hinweg die Aktivitäten der Versammelten.
Inhaltlicher Schwerpunkt des „Zahltags!“ war diesmal die „DiMa“, das sogenante „Disability Management“, der ARGE Köln. In diesem Pilotprojekt wird ein weiterer Schritt der Entwürdigung, Entrechtung und Entmündigung von Erwerbslosen deutlich – und das Menschenbild, das hinter HartzIV steht. Die „DiMa“ ist eben jene Abteilung, in der Erwerbslose, denen eine Sonderbehandlung erteilt werden soll, verwaltet und bearbeitet werden. Grundlage einer „Überweisung“ an die „DiMa“ ist die persönliche Stigmatisierung durch eineN FallmanagerIn, nach der Erwerbslose als körperlich, geistig, seelisch oder sozial „behindert“ eingestuft werden, so daß eine „Behandlung“ der betroffenen Person (und damit auch möglicherweise deren Abschieben in die Grundsicherung und so das Verschwinden aus dem ALGII-Bezug und den Arbeitslosenstatistiken) empfohlen wird. Die Selbsteinschätzung der betroffenen Erwerbslosen ist dabei unerheblich – diese könnte ja, so die häufige Unterstellung der FallmanagerInnen, auf mangelnder „Krankheitseinsicht“ beruhen. Von den Schreibtischen der „DiMa“ aus werden Erwerbslose dann, immer unter Androhung von Leistungsentzug, an der „DiMa“ angegliederte (zwangs-)“therapeutische“ Projekte und Erziehungsmaßnahmen wie z.B. „Jobpromote“, das u.a. vom Verein „Zug um Zug e.V.“ umgesetzt wird, weitergeleitet. Hier werden Erwerbslose ein weiteres Mal zunächst zur einträchtigen Bezugsquelle der Trägervereine. Zunächst werden beliebig persönliche Daten wie Angaben zu Gewohnheiten, Sexualität, Sozialverhalten und sonstigen Vorlieben erpresst und verwertet, in einem 2. Schritt werden die Betroffenen wieder einmal zu billigsten Arbeitskräften zunächst in einem 1€-Job, dann für 2 Jahre im Niedrigstlohnbereich gemacht – getarnt als Dauerbetreuung von „Kranken“ durch Arbeit.
Dieser inhaltliche Schwerpunkt wurde durch einen gemeinsamen und lautstarken Besuch der „DiMa“ durch die TeilnehmerInnen des „Zahltags!“ begleitet. Der Forderung, die Sonderabteilung „DiMa“ sofort zu schließen, entgegnete Klaus Ludwig, speziell für diesen Tag nach Mülheim gereister ARGE-Leiter, mit Ignoranz – „Man wolle doch nur helfen“, so seine Aussage, derweil er sich schützend vor den Türen der hier Beschäftigten aufbaute, nachdem er zunächst Einsatzkräfte der Polizei zu seiner Unterstützung in die vierte Etage beordert hatte. Die vorgebrachten Vorwürfe wies er ganz generell als „haltlos“ zurück, auf zahlreiche gegenteilige Beispiele von anwesenden Betroffenen reagierte er mit Achselzucken und dem Verweis auf „medizinische Grundlagen“.
Auch diesmal wurde von den Vorbereitenden des „Zahltags!“ eine Begleitung bei Forderungen von Erwerbslosen gegenüber der ARGE angeboten - wie der nach vorenthaltenen Geldleistungen, nicht geleisteten Mietzahlungen, der Zurückweisung von Lebensmittelgutscheinen anstelle von Geldleistungen und Nicht-Bearbeitung von Anträgen. Die gemeinsame Gegenwehr und Selbstorganisierung von Betroffenen, wie sie bereits beim letzten „Zahltag!“ im Oktober erprobt wurde, scheint bereits Wirkung zu zeigen, wie die zahlreichen erfolgreichen Begleitungen zeigen –allein im Verlauf des Vormittags konnte mindestens 22 Mal die sofortige Auszahlung unverzüglich durchgesetzt werden, nachdem das Anliegen der Betroffenen mit der Unterstützung durch kleinere bis größere Gruppen „ZahltäglerInnen“ entschlossen vorgetragen wurde.
„Vom Gefühl her sind uns die ARGE-SachbearbeiterInnen mit der Geldkarte förmlich entgegengekommen“, sagte einer der Begleiter überrascht. Es scheint, als hätte die Leitung der Kölner ARGE aus den Erfahrungen des letzten „Zahltags!“ gelernt und bereits im Vorfeld ihre SachbearbeiterInnen angewiesen, entgegen der Alltagspraxis an den ARGEn den berechtigten Forderungen von Erwerbslosen ausnahmsweise nachzukommen, um so jeder möglichen Störung und jedem Aufsehen auszuweichen - Presse-Photos wie die prügelnder Polizeibeamter im ARGE-Gebäude beim letzten „Zahltag“ sollten diesmal offenbar vermieden, die alltägliche schikanöse Behandlung von Erwerbslosen nicht öffentlich werden. Denn die ARGE-Leitung hier wie andernorts weiß sehr wohl, wie massiv der Angriff auf die Würde und Rechte der Erwerbslosen durch die HartzIV-Gesetzgebung und die alltäglichen Praktiken an den ARGEn ist, wie groß die Wut der Betroffenen - für deren „Management“ im Vorfeld und im „Ernstfall“ schließlich die Besetzung von 15 Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei bereit stand. Deeskalativ: Bereits im Eingangsbereich wurden zusätzliche MitarbeiterInnen eingesetzt, welche die Ansprüche von Erwerbslosen vorsortierten, Anträge entgegennahmen, sogar baldige Termine mit zuständigen SachbearbeiterInnen arrangierten, um das Gebäude möglichst leer und empörungsfrei zu halten – Anliegen, bei denen im normalen ARGE-Alltag z.T. Wochen und Monate von Wartezeiten vergehen. Dabei konnte die örtliche ARGE-Leitung auf die bundesweite Weisung der BA aufsatteln, wegen der zu erwartenden Auszahlungsschwierigkeiten im Dezember die Hürden für die Leistungsauszahlung diesmal herunterzufahren. So sagte eine ARGE-Mitarbeiterin bei einem begleiteten Termin: „Die Standortleitung hat sich offenbar von ihrer Aktion beeindrucken lassen", nachdem sie der Forderung des Betroffenen nach Rücksprache mit dem Teamleiter nachkommen musste. Und eine Betroffene bestätigt erstaunt im Anschluss an den Besuch: „So freundlich waren die hier noch nie zu uns“.
Trotz des vorauseilend „zuvorkommenden“ Verhaltens durch die ARGE haben sich Betroffene weder im Eingangsbereich abwimmeln, noch sich ihren berechtigten Unmut ausreden lassen – so wurde die durch Tacheles e.V., Wuppertal, und KEA e.V., Köln angebotene Rechtsberatung rege in Anspruch genommen, die Ergebnisse teils in Selbstorganisierung von Begleitungen direkt umgesetzt, Kontakte zu anderen „ZahltäglerInnen“ geknüpft, Diskussionen geführt.
Die heutige deeskalative Strategie der ARGE-Leitung, zu der auch deren zurückhaltender Rückgriff auf den Einsatz der Bereitschaftspolizei passt, ist ein Hohn angesichts der Verhältnisse, die vermutlich bereits morgen schon wieder auf den Fluren und hinter den Schreibtischen der ARGE herrschen werden – weder das geheuchelte „Zuvorkommen“ der ARGE-Leitung noch die zugestandenen und nach Einforderung „korrigierten“ Fehler durch dahingehend angewiesene ARGE-MitarbeiterInnen werden uns und viele andere Betroffene davon abhalten, unsere Gegenwehr und unsere Proteste am Ort des Vollzugs von HartzIV weiterzuentwickeln und zu verstetigen. Konzeptueller Bestandteil des „Zahltags!“ ist und bleibt, den Betriebsablauf in den ARGEN und damit einen zentralen Bestandteil des HartzIV-Zwangssystems nicht etwa reibungsloser zu gestalten, sondern zu stoppen, bis wir alle zu einem würdigen und selbstbestimmten Alltag finden können.
Quelle: Pressemitteilung der Initiative „agenturschluss“ vom 3.12.07