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Gewerkschaftsverseucht

Gewerkschafter, Juristen und Wissenschaftler diskutierten aus Anlass des Defacto-Gewerkschaftsverbots der FAU Am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, direkt gegenüber vom Traditionskino „Babylon“ steht das Traditionstheater „Volksbühne“.

Im Kino wird seit einem Jahr ein hartnäckiger Arbeitskampf mit Unterstützung der FAU geführt. Und im Theater trafen sich am 30. Januar Gewerkschafter, Juristen und Wissenschaftler zu einer Podiumsdiskussion über neue Formen von Arbeit und kollektiver Organisierung. Eingeladen hatte die FAU Berlin, der wenige Wochen zuvor per Einstweiliger Verfügung untersagt wurde, sich als Gewerkschaft zu bezeichnen.

Schon bei den Eingangsreferaten wurde deutlich, dass auch die Diskussionsteilnehmer diesen einmaligen Vorgang in der Geschichte der BRD als brisant einschätzen. Dr. Renate Hürtgen, Historikerin und Mitbegründerin der „Initiative für unabhängige Gewerkschaften“ in der DDR 1989 appellierte daran, die ganze Angelegenheit sehr ernst zu nehmen. Der Angriff auf die FAU Berlin beträfe alle: „Hier ist was passiert, was eine Gefahr bedeutet für die gesamte Vertretungsstruktur, und kleiner sollten wir es auch nicht halten.“ Der Politologe Jochen Gester, der u.a. im Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall aktiv ist, ging darauf ein, dass der FAU der Gewerkschaftsstatus aufgrund einer angeblich nicht vorhandenen Tarifmächtigkeit aberkannt wurde. Seiner Meinung nach hat das Urteil den Sinn, zu verhindern, dass die FAU überhaupt erst tarifmächtig werden könne. „Mit der Art und Weise, wie man mit der FAU umgeht, die zweifelsfrei gegnerfrei ist und versucht, eine Art von Gewerkschaft aufzubauen, ist das nicht ein gerichtlicher Versuch, das Koalitionsrecht zu schützen, sondern es zu verhöhnen.“

Dass aber die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen neue Formen von Arbeiterkoalitionen erfordern, wurde in vielen Wortbeiträgen aufgegriffen. Der Autor und Journalist Willi Hajek sagte: „Ich würde die FAU als Symbol nehmen, denn es gibt ein hohes Bedürfnis, die Leute spüren: es geht jetzt an unsere Existenz, und wir müssen was tun.“ Er erkennt im Babylon-Konflikt eine neue Qualität, die typisch für unsere Zeit ist. Eine Zeit, in der die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse unter keiner Regelungsmacht steht. Der Rechtsanwalt Klaus Stähle, der die FAU vor Gericht vertritt, führte aus, dass in Deutschland nur noch für 50% der Beschäftigten im Westen und nur für 25% im Osten ein Flächentarifvertrag gilt. Hier klaffe eine Lücke auf, die gefüllt werden müsse. Auch Dr. Renate Hürtgen sprach von einem neuen Vakuum. Im Kino Babylon sei es entstanden, weil Verdi versagt habe. Dies habe den Beschäftigten die Berechtigung gegeben, sich an der Basis zu organisieren. Willi Hajek führte diesen Gedanken weiter, indem er darauf hinwies, dass eine Gesellschaft nur verändert werden könne, wenn es Organisationen gibt, die den Leuten helfen, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Nach Ansicht des Politologen Prof. Dr. Bodo Zeuner gehört zu einer effektiven Organisierung unbedingt Solidarität. Die Perspektive, nur einzelne Betriebsgewerkschaften aufzubauen, hält er daher nicht für ausreichend: „Das ist ein Problem, dass Solidarität sowohl aus moralischen Gründen wie auch aus Gründen des Interessenkalküls eine Ausweitung braucht über die eigenen Kollegengruppen hinaus. Man kommt zu der Frage: wie kann denn das koordiniert werden? Und da braucht man eine Organisation. Man muss aufpassen, dass die nicht abgehoben und zentralistisch wird, aber die Organisation selber ist ein Teil von Solidarität.“

Dass in Deutschland bisher ein anderes Verständnis von Gewerkschaft vorherrscht, führte Holger Marcks aus, der für die FAU auf dem Podium saß. Die Arbeiterbewegung wurde zentralisiert, um die Arbeiterschaft zu disziplinieren, da so Konfliktpotentiale in kontrollierbare Bahnen gelenkt wurden. Dass dies funktioniere, zeige sich z.B. daran, dass Wirtschaftswissenschaftler neuerdings Zentralgewerkschaften ausdrücklich als Standortvorteil für Deutschland bezeichnen. Doch diese ordnende Funktion dürfe nicht die primäre Aufgabe von Gewerkschaften sein, sagte Prof. Dr. Bodo Zeuner: „Es lohnt sich, dafür zu kämpfen und sich einzusetzen – öffentlich, mit demonstrativen Mitteln, sowie auch rechtlich, dass das deutsche Arbeitsrecht aufhört, den Ordnungsfaktor als das rechtliche Ideal von Gewerkschaften zu erklären.“ Auch Rechtsanwalt Stähle sieht Handlungsbedarf auf juristischer Ebene. Der Kampf müsse gegen etablierte gerichtliche Denkstrukturen geführt werden.

In der Diskussion mit den gut hundert Gästen wurde sowohl vom Podium als auch vom Publikum vermehrt deutlich gemacht, dass die verschiedenen Gewerkschaften sich nicht als Konkurrenz verstehen, sondern zusammenarbeiten sollten. Schließlich ist das in anderen Ländern längst selbstverständliche Praxis. Jochen Gester meinte, es sollten sich alle als Teilnehmer einer gemeinsamen Gewerkschaftsbewegung betrachten und nicht dabei stehenbleiben, das Modell DGB dem Modell FAU gegenüberzustellen. Renate Hürtgen stimmte zu, dass es nicht darum gehen dürfe, die verschiedenen Organisationsformen miteinander zu vergleichen oder gegeneinander ausspielen zu lassen. Der DGB sollte keine Angst vor der FAU haben und versuchen, sie zu unterdrücken. Alle müssten sich für die gesellschaftliche Akzeptanz der FAU interessieren – auch in ihrem eigenen Interesse. Bodo Zeuner würde sich von Verdi ein Statement gegen das Defacto-Gewerkschaftsverbot der FAU wünschen. Auch wenn die FAU anders organisiert ist, sollte sie als Gewerkschaft betrachtet werden.

Zum Ende der Diskussion kam aus dem Publikum der Vorschlag, ein Komitee gegen die Kriminalisierung der FAU zu gründen. Die Idee wurde von mehreren Referenten aufgegriffen. Man beschloss, den Austausch fortzusetzen und gemeinsam eine Berliner Erklärung zu verfassen.

Quelle: indymedia vom 04.02.10

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