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FAU-IAA Berlin: Basisgewerkschaft siegt vor Gericht

Die schwarze Katze hat gewonnen: Die "Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union Berlin" darf sich wieder offiziell als Gewerkschaft bezeichnen. Das Kammergericht in Berlin hob am Donnerstag eine Einstweilige Verfügung auf, die der Organisation den Einsatz für die Arbeitsbedingungen in einem Kino untersagt hatte. Die "anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft" eroberte ihr Recht auf Streit zurück.

Als Richter Stefan Neuhaus in Saal 449 des Gerichts in Berlin-Schöneberg verkündet, jubeln die anwesenden "FAU"-Aktivisten laut. "In dieser Sache gilt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit", begründet er die Aufhebung des Verbots. Dieses hatte die Geschäftsführung des Berliner Kinos "Babylon-Mitte" im Dezember 2009 erwirkt, um damit einen durch die "FAU" organisierten Boykott zu stoppen. Es sei nicht nachweisbar, dass dem Betrieb durch das Auftreten als Gewerkschaft Schaden entstanden sei, so Neuhaus weiter.

Das Urteil beendet einen Streit, der im Januar 2009 seinen Anfang genommen hatte. Die Mitarbeiter des vom Berliner Senat mit jährlich über 300.000 Euro bezuschussten Programm-Kinos hatten über Lohnschwankungen und prekäre Bedingungen geklagt. Sie organisierten sich zunächst über die FAU-Ortsgruppe, die Geschäftsführer Timothy Grossmann einen Tarifvertrag vorlegte. Der Kino-Chef verweigerte jedoch Verhandlungen mit "Anarchisten, die eine Welt ohne Staat und Bosse wollen" und brachte stattdessen die Einstweilige Verfügung erfolgreich auf den Weg.

Letztlich nahm sich "verdi" der Sache an und handelte im Oktober einen Tarifvertrag aus – als "die einzige tarifmächtige Gewerkschaft im Kino- und Filmtheaterbereich", wie es in einer Mitteilung von Oktober 2009 steht. Die FAU-Aktivitäten in Berlin lagen auf Eis. Dafür erhielten sie Solidarität von linken Gruppierungen in der ganzen Welt.

Konflikte im Betrieb

Nun also der Richterspruch von Schöneberg. Und die Frage: Haben hier staatsverneinende Anarchisten gesiegt? Der aktuelle Verfassungsschutzbericht stuft die Dachorganisation "FAU IAA" als linksextrem ein, sie lehne die bestehende Staatsordnung ab. Der Berliner "FAU"-Sekretär Lars Röhm macht keinen Hehl daraus, dass "unsere Position antikapitalistisch ist".

Vor allem wolle man aber eine "interne Basisdemokratie, in der die Entscheidungen von unten nach oben getroffen werden. Und eben kein DGB-Geschacher". In ihren autonomen Ortsverbänden in ganz Deutschland setzt sich die Basisgewerkschaft mit ihren 500 Mitgliedern vor allem in Branchen ein, die von "prekären Arbeitsbedingungen" betroffen sind. Dazu gehören etwa Kulturbetriebe oder das Gesundheitswesen.

Als der Prozess zu Ende ist, wehen vor dem Gerichtsgebäude schon die roten Fahnen mit der schwarzen Katze im Vordergrund. "Hätten wir verloren, wäre es ein Präzedenzfall gewesen, der es Arbeitgebern erlaubt hätte, mit einem einfachen Mittel Konflikte im Betrieb zu beenden", sagt Lars Röhm.

 

Hintergrund

Die anarchosyndikalistischen Bewegungen ("Basisgewerkschaften") haben in der europäischen Gewerkschaftsgeschichte ihre Wurzeln in den 1870er Jahren. Grundprinzip sind Organisation ohne Hierarchien, ihr Ziel die Veränderung des gesamten Lebens auch außerhalb der Arbeitswelt. Der Zweite Weltkrieg stellte eine Zäsur für die Bewegung dar.

In Europa existieren heute in Frankreich und Italien die stärksten Basisgewerkschaften. Die deutsche "FAU IAA" existiert seit 1977 wieder und hat in allen Bundesländern Ortsgruppen.

Quelle: FR vom 11.06.10

 

Koalitionsrecht verteidigt

Ob sich eine Beschäftigtenorganisation Gewerkschaft nennt, entscheiden allein ihre Mitglieder. Berliner Kammergericht hebt Verbotsurteil gegen die FAU auf

Ein Unternehmer kann einer Interessenvereinigung von Beschäftigten nicht untersagen, als »Gewerkschaft« aufzutreten, auch wenn sie noch nicht tariffähig ist. Die Selbstbezeichnung ist durch das Recht auf freie Meinungsäußerung grundgesetzlich geschützt. Zu diesem Urteil kam das Kammergericht Berlin (so heißt in der Hauptstadt das Oberlandesgericht) in einer Berufungsverhandlung im Fall Freie Arbeiterunion (FAU) gegen Neue Babylon GmbH am gestrigen Donnerstag.

Der Vorsitzende Richter Stefan Neuhaus stellte gleich zu Verhandlungsbeginn klar, daß die Berufung der Anarchosyndikalisten »aus unserer Sicht Erfolg haben« werde. Eine Koalition von Arbeitnehmern müsse »für sich reklamieren können, daß sie eine Gewerkschaft sei, und zwar unabhängig davon, ob sie es arbeitsrechtlich tatsächlich ist«. Die Selbstbezeichung sei »keine Tatsachenbehauptung«, sondern eine »Interpretation«, die durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt sei.

Der Geschäftsführer des Traditionskinos Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte, Timothy Grossman, hatte am 11. Dezember 2009 eine einstweilige Verfügung gegen die in dem von ihm geleiteten Kinobetrieb organisierte anarchosyndikalistische FAU erwirkt. Darin wurde der Vereinigung untersagt, sich selbst, z.B. auf Flugblättern und sogar in ihrer Satzung, als »Gewerkschaft« oder »Basisgewerkschaft« zu bezeichnen. Grossman und seine Rechtsbeistände stützten sich in ihrer Argumentation auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 7. Oktober 2009, das der FAU aufgrund ihrer zu geringen Durchsetzungsmacht die Tariffähigkeit abgesprochen hatte.

Das von der FAU angerufene Landgericht bestätigte das Verbot am 6. Januar. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Ordnungsgeld von bis zu 250000 Euro oder ersatzweise Haft von bis zu sechs Monaten angedroht.

Grossman, der mit der FAU im Clinch liegt, spätestens seit sie vor einem Jahr einen Tarifvertrag für die rund 30 Beschäftigten forderte, ließ sich nicht lange bitten. Zwei Wochen nach dem erstinstanzlichen Urteil stellte er den ersten von mehreren Anträgen auf »ein empfindliches Ordnungsgeld in angemessener Höhe« oder »Ordnungshaft, zu vollstrecken an den … Sekretären« der FAU, weil diese das Wort »Gewerkschaft« nicht schnell genug aus ihrer Satzung entfernt hatten. Im April wies das Landgericht die Anarchisten an, 200 Euro in die Justizkasse zu zahlen oder, falls nicht, für vier Tage ins Gefängnis zu gehen.

Nicht nur für Grossman, den Betreiber des einzigen vom Land Berlin subventionierten Lichtspielhauses, sondern auch für den 10. Zivilsenat des Landgerichts ist das gestrige Berufungsurteil eine schallende Ohrfeige. Keiner der Richter ließ die geringsten Zweifel an der Rechtslage erkennen, und schon nach einer Viertelstunde schloß der Vorsitzende mit den Worten: »Ich denke, daß die Sache damit ausverhandelt ist.« Grossman selbst hatte sich nicht geäußert, seine beiden Rechtsanwältinnen versuchten vergeblich, das Gericht davon zu überzeugen, daß ihrem Mandanten ein »wirtschaftlicher Schaden« entstehe, würde die FAU sich weiterhin Gewerkschaft nennen.

Tatsächlich hatte der 10. Senat des Landgerichts seine Verbotsentscheidung im Januar so begründet und der FAU einen »rechtswidrigen Eingriff in das Recht der Verfügungsklägerin (der Neuen Babylon GmbH – die Red.) am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb« zur Last gelegt. Weil in Flugblättern der Anarchosyndikalisten »der Eindruck erweckt« wurde, »die Verfügungsklägerin diskriminiere Gewerkschaftsmitglieder gerade wegen ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit, obwohl es sich bei der Verfügungsbeklagten tatsächlich nicht um eine Gewerkschaft handelt«, erleide »die Verfügungsklägerin einen Rufschaden und Umsatzeinbußen«. Eine Sichtweise, die Richter Neuhaus gestern anzweifelte: Ob dem Kino nachweislicher Schaden entstanden sei, weil die FAU im Betrieb als Gewerkschaft auftrat, sei »sehr fraglich«.

FAU-Sekretär Lars Röhm kommentierte die gestrige Entscheidung erfreut: »Wir sind glücklich, daß es nicht gelungen ist, die stärkste und aktivste Gewerkschaft aus dem Kino zu verbannen. Das Urteil ermöglicht es kämpferischen Gewerkschaften, aktiv zu sein. Es hat außerdem gezeigt, daß das Mittel der einstweiligen Verfügung nicht ausreichen darf, um einen Arbeitskampf lahmzulegen.«

Quelle: junge welt vom 11.06.10


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