Comeback der Gewerkschaften in der Krise
Die totgesagten Gewerkschaften melden sich am ersten Maifeiertag der Wirtschaftskrise mit Macht zurück. Ihre Forderungen nach einem Schutzschirm für die Jobs, 80-Prozent-Steuern für Reiche und Manager sowie scharfen Regulierungen klingen brisanter und aktueller denn je.
Die Kundgebungen in Bremen, Saarbrücken oder Mannheim sind weniger Familienfest und stärker politische Mobilisierung als früher. Ob die Gewerkschaften langfristig gestärkt aus der Rezession hervorgehen, ist aber noch offen.
Auf der zentralen DGB-Kundgebung in Bremen ist die Stimmung gut. «Soziale Arbeit ist mehr wert», steht auf einem Transparent. «Mindestlohn - Wir lassen uns nicht tieferlegen» auf einem anderen. Sensenmann und Sarg auf einem Wagen geben ein düsteres Bild vom Jobmarkt der nächsten Monate ab. DGB-Chef Michael Sommer sagt etwas, das vor der Krise noch alarmistisch geklungen hätte, heute aber eher in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt ist: «Die von skrupellosen Casino-Kapitalisten und gewissenlosen Spekulanten ausgelöste weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise bedroht mittlerweile zig' Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in ihrer Existenz.»
In Saarbrücken ruft IG Metall-Chef Berthold Huber derweil heiser nach einem Schutzschirm für Arbeitnehmer. «Wir protestieren gegen Arbeitsplatzvernichter, gegen Spekulanten an den Finanzmärkten und gegen Renditejongleure in den Unternehmen», so Huber. «Nicht nur Banker, sondern alle Menschen haben ein Recht auf Zukunft.»
Ver.di-Chef Frank Bsirske, braungebrannt, poltert auf dem Mannheimer Marktplatz gegen die Finanzrettungspakete als «Bereicherungsprogramme» für die Krisen-Profiteure. Manager, die «Scheiße gebaut» hätten, dürften nicht auch noch Bonus-Zahlungen bekommen. In einem dpa-Interview schlägt Bsirske sogar vor, Managerbezüge unter Umständen zu 80 Prozent zu besteuern - wie in den 30er Jahren in den USA.
Getrübt wird das Bild durch an mehreren Orten zuschlagende Rechtsextreme. Mehrere DGB-Veranstaltungen bundesweit werden von ihnen gestört. In Dortmund werden Teilnehmer von rund 200 Rechtsradikalen mit Holzstangen und Steinen angegriffen. Die Gewerkschaftsbewegung werde sich davon nicht beeindrucken lassen, sagt Sommer.
Insgesamt zählen die Gewerkschaften 484 000 Menschen bei den Kundgebungen. Rund 70 000 mehr wären das als 2008. Es könnte also wieder bergauf gehen nach jahrelangen Erosionsprozessen bei den organisierten Arbeitnehmervertretern. Nach einer Umfrage von Infratest dimap haben 39 Prozent der Bundesbürger wieder großes oder sehr großes Vertrauen in die Gewerkschaften - so viele wie seit Jahre nicht. Angesichts der vergleichsweise schlechten Werte der SPD ist es kein Wunder, dass SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier in Ludwigshafen sagt: «Sozialdemokratie und Gewerkschaften miteinander - das ist die Lehre, die wir aus diesem Desaster ziehen müssen.»
Doch wie stark sind die Gewerkschaften wirklich? Gestaltungseinfluss messen sie sich bereits weit über den Tarifbereich hinaus zu - etwa die Abwrackprämie sei in den Planungsbüros der IG-Metall ersonnen worden, heißt es. Die strukturellen Probleme aber bleiben: Viele ihrer mehr als sechs Millionen Mitglieder scheiden in den kommenden Jahren aus dem Arbeitsleben aus. Über Jahre haben die Gewerkschaften vor allem bei den Jüngeren an Attraktivität verloren. Die Zukunft hängt nach Beobachtersicht vor allem davon ab, ob sie dies umkehren können.
Quelle: RN vom 01.05.09