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Berlin: ver.di, Linkspartei und Kinochefs gemeinsam gegen die Kinobelegschaft

ver.di Berlin schließt für das Kino 'Babylon Mitte' einen Haustarifvertrag ab, der weit unter dem eigenen Flächentarifvertrag liegt. Die Beschäftigten hat ver.di erst gar nicht gefragt, was sie davon halten. 'Nebenbei' wurde noch dafür gesorgt dass sich die FAU Berlin nicht mehr Gewerkschaft nennen darf.

Die Geschichte begann vor gut einem Jahr: Das Berliner Kino „Babylon Mitte“ ist für sein politisches und gesellschaftskritisches Programm bekannt und kann sich damit sehr gut behaupten. Zusätzlich erhält das Kino vom rot-roten Senat jährlich mehrere hundertausend Euro Zuschuss. Den Beschäftigten nützt das aber nichts: Stundenlöhne zwischen 5,50 und 8 €, befristete Arbeitsverträge, Kündigungen unmittelbar vor Ablauf der sechsmonatigen Probezeit, weder Nacht- noch Feiertagszuschläge und nach Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder bezahltem Urlaub trauen sich die Beschäftigten kaum zu fragen.

Die Belegschaft organisiert sich

Ende letzten Jahres hatte die Belegschaft endgültig die Nase voll von diesen Zuständen und wählte einen Betriebsrat. Der Geschäftsführung passte das gar nicht. Einem Betriebsratsmitglied werden verantwortungsvolle Tätigkeiten entzogen, einem Anderen wird der Vertrag nicht verlängert. Der geht dagegen rechtlich vor und muss wieder eingestellt werden. Im Januar 2009 geht der Betriebsrat an die Öffentlichkeit und thematisiert die miesen Löhne, die Personalpolitik, das Arbeitsklima und die Angriffe auf den Betriebsrat.

Einige Beschäftigte des Babylon organisieren sich in der FAU (Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union) Berlin und gründen eine Betriebsgruppe. In regelmäßigen Treffen entwickeln sie gemeinsame Forderungen an die Babylon-Geschäftsführung. Der Geschäftsführung wird die FAU „als im Betrieb vertretene Gewerkschaft“ angezeigt.

Anfang Februar 2009 fordert die FAU-Betriebsgruppe für die Zeit der Berlinale (aufgrund der erheblichen Mehrbelastung) Zuschläge in Form erhöhter Stundenlöhne. Die Forderung wird von der Geschäftsführung ignoriert. Während der Berlinale findet daraufhin eine erste Protestkundgebung vor dem Babylon statt. Einem Teilnehmer der Kundgebung kündigt die Geschäftsführung. Es folgt eine Kampagne zur Wiedereinstellung des Gewerkschafters.

Ein Haustarifvertrag wird entworfen

Ab Mitte Mai 2009 nehmen Vertreter der FAU regelmäßig und auf Einladung des Betriebsrates an den Betriebsversammlungen im Babylon teil. In einem offiziellen Gespräch zwischen der FAU Berlin und Geschäftsführung wird die Vorlage eines Haustarifvertrages angekündigt.

Bei regelmäßigen Treffen der Belegschaft wurde ein Haustarifvertrag entworfen. An der Entwicklung der Forderungen hatten sich ca. 90% aller MitarbeiterInnen beteiligt. Anfang Juni legt die FAU Berlin der Geschäftsführung den Entwurf des Haustarifvertrages vor und fordert sie zu Gesprächen auf. Dazu ist die Geschäftsführung nicht bereit.

Der Arbeitskampf beginnt

Am 16. Juni 2009 erklärt die FAU und ihre Betriebsgruppe der Geschäftsführung den Arbeitskampf. Während der nächsten Monate stehen nahezu täglich FAU-Mitglieder und Beschäftigte vor dem Kino und informieren über die Zustände. Öffentlichkeit wird hergestellt. Senat und Linkspartei werden von der FAU Berlin öffentlich in die Verantwortung für die Zustände genommen. Vertreter von Senat und Linkspartei erklären mehrfach, sie dürften sich nicht in den Tarifkonflikt einmischen.

Anfang Juli 2009 kündigt die Geschäftsführung die Reduzierung der Belegschaft (einst über 30) auf unter 20 an um dem Betriebsrat wichtige Mitbestimmungsrecht zu nehmen. Beginn von Auslagerungen in die Zweitfirma der Geschäftsführer. Am 13. Juli 2009 ruft die FAU Berlin und ihre Betriebsgruppe zum Boykott des Babylon Mitte auf. Die FAU weitet ihre Aktivitäten auf das Zweitunternehmen der Geschäftsführer mit dem temporär betriebenen Freiluftkino in Charlottenburg aus.

Nach einer Flugblattaktion im Babylon erhalten mehrere Mitglieder der FAU Berlin Anzeigen wegen Hausfriedensbruch. In einem Offenen Brief thematisiert die FAU Berlin Ende Juli die Verantwortung der Linkspartei. Es erfolgen zunehmend Protestanschreiben an Senat und Linkspartei durch UnterstützerInnen. Die Linkspartei bleibt dabei: Sie könne sich nicht in Tarifangelegenheiten einmischen.

Ende August fordert die FAU Berlin die Geschäftsführung erneut zu Verhandlungen auf. Eine weitere Eskalation des Arbeitskampfes wird angedroht. Der Linkspartei-Landesvize Albers erklärt erneut, man könne sich nicht in Tarifangelegenheiten einmischen. Er suche aber bereits das Gespräch mit Babylon-Geschäftsführer Grossman und trete als „Moderator“ auf. Zwischen wem moderiert wird, bleibt schleierhaft. Mit der FAU Berlin oder den Beschäftigten redet er jedenfalls nicht. Bei der Haushaltsdebatte im Berliner Senat ist das Babylon Thema. Der politische Druck in Bezug auf die Fragwürdigkeit der Subventionen anbetrachts der Arbeitsbedingungen wächst enorm. Ein Tarifvertrag im Babylon gilt nun als unausweichlich.

ver.di übernimmt

Anfang September meldet sich plötzlich ver.di zu Wort und kündigt Verhandlungen mit der Geschäftsführung an. Die Geschäftsführung verteilt triumphierend die ver.di-Pressemitteilung im Betrieb. Die FAU äußert in einem Offenen Brief den Verdacht, dass dies politisch eingefädelt sei, um den Arbeitskampf zu unterlaufen. ver.di-Verhandlungsführer Andreas Köhn äußert sich abwehrend gegen die Vorwürfe der FAU. Die ver.di-Einmischung wird von Presse, Öffentlichkeit und Politik als gutgemeinte Lösung des Konflikts interpretiert.

Die ver.di-Mitglieder im Betrieb bekennen sich zu dem Tarifvertragsentwurf der FAU Betriebsgruppe. Ende September läßt sich der selbsternannte Verhandlungsführer Köhn das erste Mal bei einer Betriebsversammlung blicken. Die Beschäftigten fordern einstimmig keinen Alleingang ver.dis.

Bei der „Linken Kinonacht“ der Linkspartei im Babylon Mitte verteilt „Die Linke“ Flyer, auf denen sie angibt Vermittlerin der Einmischung ver.dis gewesen zu sein. Köhn hatte das zuvor in der Versammlung auf Anfrage geleugnet.

Am 6. Oktober findet ein Gespräch zwischen Gewerkschaftern der FAU und ver.di Chefunterhändler Köhn statt. Es bleibt bei Lippenbekenntnissen. Eine konkrete Koalitionsvereinbarung mit der FAU gibt es nicht.

Die Babylon Geschäftsführung ist unterdessen auch nicht untätig. Am 7. Oktober ergeht ein Urteil per Einstweiliger Verfügung gegen die FAU Berlin. Sie darf nicht mehr zum Boykott des Kinos aufrufen. In der Klageschrift beklagte sich die Geschäftsführung über das Wegbrechen der Kooperationspartner und der Kundschaft. Das Urteil wird von der Geschäftsleitung so gewertet, dass die FAU Berlin nicht „tariffähig" sei.

Einen Tag später kündigt ver.di die erste Verhandlungsrunde mit der Geschäftsleitung an. Während die Proteste vor dem Kino weiter gehen versucht die FAU Berlin mit ver.di ins Gespräch zu kommen um gemäß Mandat der Betriebsversammlung zu einer Tarifgemeinschaft zu gelangen. ver.di hält hin.

Der Belegschaftswille wird ignoriert

Am 21. Oktober 2009 unterzeichnen ¾ der Beschäftigten einen erneuten Forderungskatalog, womit an den Forderungen aus dem FAU-Haustarifvertragsentwurf festgehalten wird. Sie fordern Köhn auf, den Willen der Betriebsversammlung, keinen Alleingang zu machen, zu respektieren. Am 28. Oktober beginnen die Verhandlungen ver.dis mit der Geschäftsführung.

Die FAU Berlin distanziert sich öffentlich vom Alleingang ver.dis und deren Verhandlungsinhalte. In einem erneuten Offenen Brief an Köhn und ver.di erhebt die FAU Berlin erhebliche Vorwürfe gegen diese und verurteilt das illegitime und entmündigende Handeln ver.dis gegenüber der Belegschaft.

Anfang November 2009 beginnen Umstrukturierungen im Betrieb, die zu Ungunsten der bisherigen Belegschaft gehen. Mitte November 2009 verbreitet Köhn in verschiedenen Medien Unwahrheiten über die FAU, z.B. dass es gar keinen Arbeitskampf gegeben hätte oder dass sie Flugblattverteiler bezahlen würde. ver.di stellt die langjährige Zusammenarbeit mit dem Anwalt ein, der die FAU im Prozess vertrat und den Babylon-Betriebsrat schulte.

Am 11.12.2009 wurde der FAU Berlin per einstweiliger Verfügung vom Landgericht Berlin verboten, sich als Gewerkschaft oder Basisgewerkschaft zu bezeichnen. Ohne mündliche Verhandlung folgte das Landgericht der Argumentation der Babylon Geschäftsführung, der FAU Berlin sei bereits im Oktober vom Arbeitsgericht der Gewerkschaftsstatus aberkannt worden. In diesem Urteil wurde der FAU Berlin zwar der Boykott des Kinos untersagt, die Gewerkschaftseigenschaft stand indes nicht zur Disposition. Es ist ein Novum in der deutschen Rechtsprechung, dass einer Organisation verboten wird sich als Gewerkschaft zu bezeichnen. Umso absurder ist es, wenn es sich dabei um eine Organisation handelt, die seit gut einem Jahr einen Arbeitskampf geführt hat, der letztlich Tarifverhandlungen erzwang.

Quelle: www.fau.org

Haustarifvertrag abgeschlossen

Am 16.12. wurde ein Haustarifvertrag für das Babylon abgeschlossen. Dazu die Pressemitteilung des Babylon-Betriebsrats:

Am 16.12.09 hat ver.di mit den Geschäftsführern des Kinos Babylon Mitte Timothy Grossman und Tobias Hackel einen Haustarifvertrag abgeschlossen, der in vielen Fällen um gut 30% unter der Vergütungstabelle des entsprechenden Verdi-Bundestarifvertrages liegt, oft fällt der Verzicht aber weit deutlicher aus:

Einem erfahrenen Filmvorführer, der nach 23 Uhr 2 Projektionen betreut, stünden Verdi-Bundestarifvertrag ab Juli nächsten Jahres rund 18 Euro zu. Es sei denn er arbeitet im Babylon Mitte. Hier, im einzigen vom Berliner rot-roten Senat mitfinanzierten Kino, ist dieselbe Arbeit laut Verdi-Haustarifvertrag nur die Hälfte, gut 9 Euro wert. Monatlich verdient ein Filmvorführer mit mehr als 5 Jahren Berufserfahrung laut regulärem Verdi-Bundestarif ab Januar 1900 Euro. Hinzu kommen üppige Zuschläge. Nicht so im Babylon. Hier hat er sich mit 1490 Euro zu begnügen, die Zuschläge wurden hier gestrichen oder deutlich gekürzt.

Wodurch dieser weitgehende Verzicht zu rechtfertigen ist, konnte Verdi-Verhandlungsführer Andreas Köhn nicht erklären, denn den Tarifvertrag ließ Verdi von der Babylon-Geschäftsführung präsentieren. Auch kein anderer Verdi-Vertreter wollte offenbar an der heutigen Betriebsversammlung Verantwortung übernehmen. Bei der letzten Betriebsversammlung vor drei Monaten hatte Andreas Köhn dagegen noch versichert, es sei ihm nicht möglich überhaupt einen Tarifvertrag unter dem Niveau des Flächentarifs abzuschließen. Schon lange vor Köhns überraschender Intervention hatte die Freie ArbeiterInnen Union FAU Berlin mit großen Teilen der Belegschaft einen Tarifvertragsentwurf ausgearbeitet und versucht Verhandlungen herbeizuführen.

„Trotz des unangemessen niedrigen Verdi-Tarifabschlusses gibt es für manche Beschäftigte, die bisher nur 5,50 Euro verdienten, deutliche Lohnsteigerungen. Zu verdanken ist das dem langwierigen Arbeitskampf der FAU Berlin im Babylon, der Verdi und Geschäftsführung letztendlich zu einem Tarifabschluss zwang.“ So der Betriebsratsvorsitzende.

Finanziell gehe es dem Babylon gut, ließ die Geschäftsführung verlauten. Jahr für Jahr steigen demnach die Besucherzahlen und Vermietungen, hinzu komme der einträgliche Getränkeverkauf. Dennoch wird der Tarifvertrag fest an eine Erhöhung des Senats-Zuschusses um 30.000 Euro auf 350.000 Euro pro Jahr gekoppelt. Sinkt der Zuschuss des Senats, verliert der Tarifvertrag jede Gültigkeit. In langwieriger Kleinarbeit wird der Betriebsrat nun versuchen, mit Betriebsvereinbarungen das Beste für die Belegschaft herauszuholen, wo dies der Dumping-Tarifvertrag Verdis noch erlaubt.

Quelle: Pressemitteilung des Betriebsrat Babylon vom 17.12.09

Kommentar einer Babylon-Beschäftigten

Unterm Strich haben wir jetzt dank ver.di einen beschissenen Tarifvertrag, der weit hinter dem zurückbleibt, was wir uns Jahresanfang mal überlegt haben und was die FAU versucht hat durchzusetzen. Und sogar als das, was ver.di im Oktober in der Presse versprochen hat. Und selbst das haben wir nur bekommen, weil die FAU Betriebsgruppe echt einen losgemacht hat und die Geschäftsführung mit allen Mitteln unter Druck gesetzt hat. Die meisten von uns hätten glaube ich auch gestreikt, wenn es eine Möglichkeit dazu gegeben hätte, ohne gleich rauszufliegen. Die Stimmung war so. Grossmann und Hackel waren kurz davor klein beizugeben, als ihnen jede Menge Besucherinnen und Kooperationspartner unangenehme Fragen gestellt haben oder einfach weggeblieben sind und sie jeden Tag selbst Aufkleber und Plakate abschaben mussten, weil das sonst niemand gemacht hat und die Telefondrähte geglüht haben. Jetzt haben sie sich mit Gerichten, ihren Parteifreunden und ver.di noch mal auf unsere Kosten aus der Affaire gezogen.

Quelle: indymedia vom 17.12.09

Tarifvertrag in Frage gestellt

Nur Tage nach der Verkündung des Verdi-Dumping-Tarifs fürs Babylon durch die Geschäftsführung muss der Vertrag schon wieder in Frage gestellt werden:

Das Berliner Arbeitsgericht hat am 17.12.2009 entsprechend der Klage des Babylon Betriebsrats festgestellt, dass die Betreiber des Kinos Babylon Mitte, die Neue Babylon GmbH und die K&K GmbH, ein und derselbe Betrieb sind. In der Vergangenheit wurde der Eindruck erweckt, K&K sei für den lukrativen Getränkeverkauf und das einträgliche Catering-Geschäft im Babylon sowie die gewinnträchtigen Freiluftkinos Schloss Charlottenburg und Weissensee verantwortlich, während die Neue Babylon GmbH sich bemühe mit dem Betrieb des hochsubventionierten Kinos Babylon Mitte über die Runden zu kommen.

Beide Gesellschaften werden von Grossman und Hackel geführt. Gute Nachrichten also für die bisherigen Angestellten der K&K, die nun auch vom Betriebsrat des Babylon vertreten werden und dazu in den Genuss des leider viel zu niedrig ausgefallenen Verdi-Haustarifvertrag kommen. Vorausgesetzt allerdings, der Vertrag behält seine Gültigkeit, falls sich Verdi-Verhandlungsführer Andreas Köhn allzu leichtfertig hat täuschen lassen was Struktur und finanzielle Verhältnisse des Babylon angeht. Im Vordergrund des Verdi-Abschlusses lag offenbar eher das beiderseitige Interesse von Geschäftsführung und Verdi die FAU Berlin auszustechen, denn die Vertretung der Interessen der Beschäftigten.

Nun stellt sich die Frage, ob der Berliner Senat sich die Geschäftspraktiken der Babylon-Betreiber weiter gefallen lassen kann. Sollte der Senats-Zuschuss von 350.000 Euro (davon 30.000 Euro explizit für die neuen tariflichen Mehrausgaben) gekürzt werden, verliert der Tarifvertrag seine Gültigkeit.

Aber auch wesentlich schwerwiegendere Konsequenzen könnten aufs Babylon zukommen: Noch am Mittwoch hatte Geschäftsführer Timothy Grossmann auf der Betriebsversammlung berichtet, die Gründung der Neue Babylon GmbH sei zwingend nötig gewesen, um die Vergabekriterien für Förderung und Babylon zu erfüllen. K&K hätte das Kino nicht betreiben dürfen. Sollte der Betrieb des Babylon durch die jetzt erst festgestellte gemeinsame Gesellschaft nicht den Vergabekriterien entsprechen, steht für Hackel und Grossman deutlich mehr auf dem Spiel als die doppelten Einkünfte für jeweils zwei Geschäftsführerposten.

Der Betriebsrat des Babylon hat angekündigt, auch weiterhin die Ausgliederung von ArbeitnehmerInnenn und die Untergrabung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu verhindern.

Quelle: Pressemitteilung Betriebsrat Babylon Mitte vom 20.12.09

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