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Presseerklärung von Sozialforum, Mieterverein und ver.di-Bezirk Dortmund zur gemeinsamen Veranstaltung „Hartz IV – Wohnst du noch oder ziehst du schon um?“ am 9.9.04

Zur Wohnkostenregelung beim Alg II nach dem ab Anfang 2005 geltenden neuen Sozialgesetzbuch II (SGB II) und ihre Anwendung auf Dortmund - mit Anlage zur Presseerklärung



Zu Beginn des kommenden Jahres soll das Zweite Sozialgesetzbuch SGB II in Kraft treten. Damit fallen rund 30.000 Dortmunder Haushalte, nämlich Haushalte, die bislang ganz oder überwiegend von Arbeitslosenhilfe lebten oder die frisch aus dem Bezug von Arbeitslosengeld herausfallen, erstmals unter das Wohnkostenregime des Sozialamtes (bzw. des zusammen mit der örtlichen Agentur für Arbeit betriebenen Job-Centers). Ab nun entscheidet der Staat, welche Wohnungen und welche Mieten für sie angemessen und zumutbar sind.

Auch wenn das hiesige Sozialamt die Angelegenheit in der Öffentlichkeit immer wieder herunterzuspielen versucht. Die Sorgen und der Unmut unter den potentiell betroffenen Langzeitarbeitslosen, die bisher von der Arbeitsverwaltung betreut wurden, sind berechtigterweise groß. Dafür gibt es zahlreiche Gründe:

  1. Sobald die Betreffenden ins Arbeitslosengeld II rutschen, sind sie nicht mehr frei in der Auswahl ihrer Wohnung.
  2. Es ist zumindest grob fahrlässig, davon auszugehen, dass sich die Mieten der jetzigen Wohnungen von Alhi- oder Alg-Empfängern und –Empfängerinnen bereits heute weitgehend innerhalb der Grenzen bewegen, die vom Gesetzgeber und den ausführenden kommunalen Trägern als angemessen betrachtet werden.
  3. Die bislang in der Sozialhilfe für die Wohnkostenübernahme üblichen Obergrenzen für angemessene Wohnungsgrößen und Mieten sind äußerst knapp bemessen, selbst unter Berücksichtigung der derzeit etwas entspannteren Lage am Dortmunder Wohnungsmarkt.
  4. Erschwerend kommt hinzu, dass das SGB II zwar die Erstattung von Umzugskosten und die Übernahme von etwaigen Kautionsleistungen vorsieht, nicht jedoch die befristete Übernahme von doppelten Mieten während des Umzuges.
  5. Da Tilgungsleistungen nicht übernommen werden und die staatliche Eigen-heimzulage als Einkommen angerechnet werden soll, werden mit Sicherheit auch Besitzer von Wohneigentum (Eigentumswohnungen oder Eigenheimen) in finanzielle Bedrängnis geraten, wenn der Bau/Erwerb noch nicht lange zurückliegt und die Finanzierung noch nicht abgeschlossen ist.
  6. Die Ausdehnung der bislang nur in der Sozialhilfe geltenden Wohnkostenbegrenzung auf alle Arbeitslosen, die nach 12 bzw. (bei über 55-jährigen) 18 Monaten aus der Arbeitslosenversicherung herausfallen, konterkariert alle bisherigen Bemühungen zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit und zur Stabilisierung von benachteiligten Quartieren.

Nähere Einzelheiten zu diesen Gesichtspunkten in der Anlage zur Presseerklärung.

Was haben sich die 30.000 Haushalte zuschulden kommen lassen? Nichts, außer dass sie schon seit längerem keine Arbeit haben und ihre Versicherungsansprüche gegenüber der Arbeitslosenversicherung aufgezehrt sind! Einige haben vielleicht erst ein paar Jahre gearbeitet (und in die Sozialversicherung eingezahlt), andere haben u.U. schon dreißig Jahre Berufstätigkeit auf dem Buckel und dann unverschuldet ihre Stelle verloren. Sie gelten als zu alt, um einen neuen Job zu finden, sind aber noch viel zu jung, um schon an Rente zu denken. Selbst ein längerer Bezug (länger als 12 Monate) von Arbeitslosengeld wird ihnen jetzt streitig gemacht.

Sie alle müssen jetzt genauestens über ihre Wohnverhältnisse Rechenschaft ablegen, ferner über ihre Mitbewohner, deren Einkünfte sowie die Beziehungen untereinander. Sie müssen demnächst ihren „Fallmanager“ um Erlaubnis fragen, wenn sie die Wohnung wechseln wollen. Sie haben in der Regel nur ein ½ Jahr Zeit, ihre Wohnkosten durch Wohnungswechsel, Untervermietung, Verkauf o.ä. an den Standard anzupassen, den der Gesetzgeber bzw. die ausführende Verwaltung als angemessen betrachtet. Viele Familien werden sich verschulden und am Ende unter Umständen trotzdem gezwungen sein, ihre angestammte Wohnung zu kündigen, weil das, was als „angemessene Mietunterstützung gewährt wird, nicht ausreicht.

Die von Regierung und Opposition gemeinsam beschlossenen Beschränkungen sind für die Betroffenen nicht zu akzeptieren. Auch die Veranstalter haben für diese Art Reformen wenig Verständnis. Denn selbst für diejenigen, für die sich wohnungsmäßig unmittelbar erst einmal nichts ändern würde, weil ihre Wohnungen zufälligerweise noch innerhalb der behördlich definierten Grenzen bleiben, bedeutet das Wohnkostenregime nach SGB II vermehrte Abhängigkeit.

Die Wohnkostenregelung lässt sich schließlich nicht trennen von den übrigen Elementen des neuen Gesetzes, insbesondere nicht von den – gegenüber den Regelungen im SGB III – wesentlich verschärften Zumutbarkeitsbestimmungen. Zu den Sanktionsmöglichkeiten der Job-Centers bei mangelnder Mitwirkung wird nicht nur die Kürzung der Regelleistungen (zur Sicherung des Lebensunterhalts) und nicht nur der Wegfall der befristeten Stufenzulage nach § 24 gehören, sondern eben auch die Kürzung (oder gar ein Wegfall) der Wohn- und Heizkostenzuschüsse.

Absprachen und Forderungen der Veranstalter Die Veranstalter haben im Vorfeld besprochen, den von der Unterkunftskostenregelung nach SGB II potentiell betroffenen Arbeitslosen verstärkt Beratung und Informationen anzubieten. Diese wird im wesentlichen vom Mieterverein Dortmund bestritten werden (erster Termin: Infoveranstaltung am 24. September ab 10 Uhr im Arbeitslosenzentrum, Leopoldstraße 16-20). Menschen, die Probleme mit der ‚Anerkennung’ ihrer Wohnung durch die Sozialverwaltung auf sich zukommen sehen, werden dringend aufgefordert, sich mit dem Mieterverein oder den sozialberatungsstellen der Wohlfahrtsverbände sowie der ver.di Gewerkschaft in Verbindung zu setzen.

Die Veranstalter erwarten vom Rat und vom Verwaltungsvorstand eine Klarstellung, dass die Langzeitarbeitslosen, die durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bereits erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen müssten, nicht noch durch erzwungene Umzüge in Billigwohnungen zusätzlich stigmatisiert werden sollen.

Wer arbeitslos ist, darf nicht auch noch aus seiner angestammten Wohnung verdrängt werden! Keine Arbeitslosenghettos in Dortmund!

Durchschnittlich ausgestattete Wohnungen müssen für Erwerbslose anmietbar sein!

Dortmund, den 9. September 2004

Ver.di Dortmund
Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.
Sozialforum Dortmund

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Anlage zur Presseerklärung vom 9.9.2004

Zu den in Gründen im einzelnen:

  1. Sobald die Betreffenden ins Arbeitslosengeld II rutschen, sind sie nicht mehr frei in der Auswahl ihrer Wohnung. EmpfängerInnen von Sozialhilfe wissen bereits schon seit langem, was das bedeutet. Jeder Wohnungswechsel und jede neue Anmietung ist mit dem Kostenträger, der Stadt bzw. dem Landkreis, abzustimmen. Das Amt hat letztendlich zwar nicht das Recht, einen Wechsel zu verhindern, aber es wird nur in begründeten Ausnahmefällen Mehrkosten akzeptieren und genau beobachten, aus welchen – bislang möglicherweise unerkannten – Quellen der/die Betreffende das Geld für die Restkosten der Wohnung (und den Umzug) aufbringt.
  2. Es ist zumindest grob fahrlässig, davon auszugehen, dass sich die jetzigen Wohnungen von Alhi- oder Alg-Empfängern und –Empfängerinnen bereits heute weitgehend innerhalb der Grenzen bewegen, die vom Gesetzgeber und den ausführenden kommunalen Trägern als angemessen betrachtet werden. Leistungsempfänger der Agentur für Arbeit mussten schließlich bislang nie über Größe oder Preis ihrer Unterkunft Rechenschaft ablegen, da das SGB III so etwas nicht verlangte (die entsprechenden Daten werden in diesen Wochen erstmals im Zusammenhang mit der geplanten Einführung des Alg II zusammengetragen). Die Betreffenden waren vielmehr bisher in der Wohnungswahl souverän: Die Auswahl wurde beschränkt ausschließlich durch das ihnen zur Verfügung stehenden Einkommen – und das lag, selbst wenn kein Neben- und/oder Zweiteinkommen hinzukam, bei den meisten Betroffenen höher als die Leistungen nach SGB II, von denen sie künftig ihr Leben fristen sollen.

    Die Veranstalter befürchten, dass es in Dortmund im Verlauf des nächsten Jahres zu einer beträchtlichen Zahl von erzwungenen Wohnungswechseln kommen wird, wenn die Stadt Dortmund an den bislang in der Sozialhilfe angewandten Obergrenzen festhalten sollte. Dies würde von den Betroffenen zurecht als Demütigung und soziale Deklassierung empfunden, gerade wenn man bedenkt, dass die Wohnung für die meisten ein zentraler Mittelpunkt darstellt und die eigenen Wohnverhältnisse für viele auch das widerspiegeln, was mensch bislang in seinem Leben erreicht hat.
  3. Bislang waren in der Sozialhilfe für die Wohnkostenübernahme hier folgende Obergrenzen üblich: maximal 4,50 €/qm Grundmiete plus 1,50 €/qm Nebenkosten exclusive Heizkosten, Wohnungsgrößen zwischen 45 qm (für Alleinstehende) und 80 qm (für 4-köpfige Familie bzw. 4-Personen-Haushalt). Diese Grenzen sind äußerst knapp bemessen, selbst unter Berücksichtigung der derzeit etwas entspannteren Lage am Dortmunder Wohnungsmarkt. Eine besondere Dynamik entwickelte in letzter Zeit die sog. ‚zweite Miete’, also die Mietnebenkosten. Der Mieterverein weiß aus seiner Beratungspraxis, dass gerade in schlechteren Wohnungsbeständen die Nebenkosten explodieren und inzwischen fast das Niveau der Kaltmiete erreichen.
  4. Erschwerend kommt hinzu, dass das SGB II zwar die Möglichkeit der Erstattung von Umzugskosten und der Übernahme von etwaigen Kautionsleistungen vorsieht, nicht jedoch die befristete Übernahme von doppelten Mieten während der Übergangszeit. Dies stellt sogar eine Schlechterstellung gegenüber den bisherigen Gepflogenheiten in der Sozialhilfe dar.

    Ähnliches gilt für aufgelaufene Mietschulden. Sie sollen überhaupt nur noch dann Berücksichtigung finden, wenn akut Obdachlosigkeit droht und „hierdurch die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindert würde.“ (aus dem Gesetzestext). Nur unter diesen engen Voraussetzungen wird die für die Umsetzung des Gesetzes zuständige Verwaltung Hilfe gewähren (in Form eines Darlehens). In allen übrigen Fällen muss der/die Betroffene allein zusehen, wie er/sie zurechtkommt. Selbst ein Rückgriff auf das BSHG (bzw. SGB XII) ist nach Lage der Dinge nicht mehr möglich.
  5. Besitzer von Wohneigentum (Eigentumswohnungen oder Eigenheimen) werden, wenn der Bau/Erwerb noch nicht lange zurückliegt und die Finanzierung noch nicht abgeschlossen ist, mit Sicherheit in finanzielle Bedrängnis geraten.
    Wenn es ihnen nicht rasch gelingt, doch noch eine halbwegs bezahlte Arbeitsstelle zu finden, werden sie sich auf kurz oder lang von ihrem Besitz trennen müssen. Denn Tilgungsleistungen gehören nicht zu den zuschussfähigen Unterkunftskosten (woher also das Geld für das Bedienen der Kredite nehmen, wenn nicht stehlen?). Und – anders als beim SGB III – wird die staatliche Eigenheimzulage hier als normales Einkommen betrachtet, das auf die Leistung anzurechnen ist. Was nützt in diesen Fällen noch die so häufig herausgestellte Schonung selbstgenutzten Wohneigentums im Rahmen der Vermögensbetrachtung nach SGB II? Nichts!
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