Benutzerspezifische Werkzeuge

Pleite nach Maß

Der Spiegel Heft 9/2004 vom 22.2.2004

Die Insolvenz der deutschen Tochter des Personaldienstleisters Maatwerk bringt das Herzstück der Hartz-Reform ins Gerede. Ist das Konzept schon gescheitert?

Das unrühmliche Ende von Maatwerk - was so viel wie Maßarbeit bedeutet - kam am Freitag, dem 13. Ausgerechnet an diesem Festtag der Abergläubischen musste die deutsche Tochter des niederländischen Arbeitsvermittlers der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg mitteilen, dass sie sich hoffnungslos verkalkuliert hatte und wegen Zahlungsunfähigkeit ihr Geschäft mit den Personal-Service-Agenturen einstellen muss. Drei Tage später folgte der Gang zum Insolvenzrichter.

Personal-Service-Agenturen, kurz PSA genannt, sind das Herzstück der Hartz-Reform. Sie sollen vom Arbeitsamt zugewiesene Arbeitslose befristet anstellen und diese entweder verleihen oder dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln. Alles gefördert von der BA, die dafür in diesem Jahr rund 600 Millionen Euro zur Verfügung stellt - und auf diese Weise ganz nebenbei die Statistik bereinigt.

Bei diesem Geschäft wollten die Holländer von Anfang an ganz groß dabei sein. Für mehr als 200 solcher Agenturen beantragte und bekam Maatwerk den Zuschlag, knapp 10 000 Menschen musste der Personaldienstleister plötzlich zwischen Aachen und Zwickau beschäftigen.

Mit dieser Aufgabe war das auf diesem Gebiet völlig unerfahrene Unternehmen maßlos überfordert. Bislang nämlich hatte Maatwerk vor allem Erfolg mit schwer vermittelbaren Sozialhilfeempfängern, die es wieder in den Arbeitsmarkt eingliederte. Dabei ging es maximal um 1000 Personen, jetzt musste es sich plötzlich um 10 000 Menschen kümmern, ohne über die nötige Infrastruktur zu verfügen.

In den 150 Regionalbüros herrschten offenbar unhaltbare Zustände. Ein ehemaliger Maatwerk-Mitarbeiter alarmierte die Nürnberger BA, deren Mitarbeiter am Donnerstag vergangener Woche unangekündigt in der PSA des Unternehmens in Recklinghausen auftauchten.

Sie fanden alles wie beschrieben: Über Monate hinweg waren Berichte über angebliche Schulungen der Mitarbeiter erfunden und Arbeitsverträge so umdatiert worden, dass die Behörde höhere Zuschüsse zahlen musste, als Maatwerk eigentlich zustanden. Statt der vertraglich zugesicherten sechs Disponenten betreuten gerade einmal zwei Mitarbeiter die Jobsuchenden. "Kreative Vertragsgestaltung" nennt Maatwerk-Geschäftsführer Jos Berends diese Praxis heute.

Die Pleite war absehbar. Als sich die Bundesregierung anschickte, die Hartz-Konzepte umzusetzen, witterten neben Maatwerk-Chef Berends massenhaft Branchenfremde das große Geschäft. Plötzlich durften sich Weiterbildungseinrichtungen als Personaldienstleister probieren, sogar Wach- und Schließgesellschaften kamen zum Zug. Mit fatalem Ergebnis: Von der Eröffnung der ersten PSA im April 2003 bis Januar 2004 waren rund 47 000 vormals Arbeitslose in PSA beschäftigt. Nur 6375 fanden in diesem Zeitraum tatsächlich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung - bei ihnen klappte der so genannte Klebeeffekt. Ursprünglich sah Hartz in seinem Konzept einmal bis zu 350 000 PSA-Beschäftigte vor, die innerhalb von drei Jahren wieder einen Dauerjob finden sollten.

Dass diese Bilanz so niederschmetternd ausfällt, liege nicht am Hartz-Konzept selbst, sondern an dessen Handhabung, meinen Experten. "Es haben viel zu viele Laien einen Zuschlag erhalten", sagt Thomas Reitz, Deutschland-Chef der Zeitarbeitsfirma Manpower. "Man kann nicht in wenigen Monaten aufbauen, wofür wir 40 Jahre gebraucht haben."

Zudem sei die Vergabe der PSA-Lizenz viel zu oft am Preis gescheitert. So schätzen Fachleute, dass mindestens 60 Prozent der PSA-Betreiber wegen ihrer Dumpingpreise und nicht wegen nachgewiesener Qualifikation den Zuschlag erhalten haben. Auch Maatwerk glänzte durch ein konkurrenzlos billiges Angebot, obwohl es offensichtlich kaum über finanzielle Reserven verfügte. Nun müssen sich die Nachlassverwalter mit diesem Problem herumärgern. "Mich treibt die Frage um, warum die Bundesanstalt mehr als 10 000 Arbeitnehmer einer GmbH anvertraut hat, die über ein Stammkapital von nicht mal 25 000 Euro verfügt", sagt der Maatwerk-Insolvenzverwalter Gerd Weiland.

Leidtragende der Insolvenz sind vor allem die rund 9500 externen Beschäftigten, ehemalige Arbeitslose, die Maatwerk über Leiharbeit in einen Job vermitteln wollte. Gehälter wurden bei dem Unternehmen immer erst zum 15. des Folgemonats gezahlt. In dieser Woche wäre das Januar-Gehalt fällig gewesen. Doch wegen der Insolvenz bleibt die Zahlung aus.

Maatwerk ist kein Einzelfall. Am gleichen Tag wie Maatwerk meldete auch die Agens Arbeitsvermittlung in Siegburg Insolvenz an. Agens hatte allerdings nur fünf PSA. Und drei Verträge waren bereits von der BA gekündigt worden - wegen Erfolglosigkeit.

Diesen Vorwurf will Maatwerk-Chef Berends für sein Unternehmen aber nicht gelten lassen. Immerhin seien rund 2000 Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden. Und hätte er von der BA mehr Zeit und von den Banken mehr Geld bekommen, wäre "das Projekt PSA sicher gelungen", sagt Berends. "Ich denke, dass wir in der Summe unsere Sache gut gemacht haben."

MICHAEL FRÖHLINGSDORF, JANKO TIETZ

Artikelaktionen