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Politik benutzt Arbeitsamt als Sündenbock

WR: 21.02.2002 / LOKALAUSGABE / DORTMUND

Geschönte Vermittlungsstatistiken, Verschwendung von Steuergeldern, schlampige Beratung: Die Arbeitsämter beziehen Prügel von allen Seiten. Das Dortmunder noch mehr als andere, weil es eine jener fünf Behörden ist, deren Überprüfung den Skandal erst los trat. Direktor Werner Schickentanz schweigt - und erhält jetzt unverhofft Rückendeckung. "Die Politik hat einen Sündenbock gefunden und entzieht sich ihrer Verantwortung", sagt Gisela Tripp. Sie leitet das Arbeitslosenzentrum Dortmund. Seit 1984 gibt es den eingetragenen Verein schon. Mehr als 1 000 Arbeitslose suchen die Stelle an der Leopoldstraße 16 pro Jahr auf, um sich individuell beraten zu lassen. Die meisten zwischen 30 und 50 Jahren, Hilfsarbeiter ebenso wie Akademiker, die meisten mit abgeschlossener Berufsausbildung. Rund 6 000 Ratsuchende nehmen an Gruppentreffen teil: vom Arbeitslosen-Frühstück bis zum Seminar für die Jobsuche im Internet. "Wir machen hier die Sozialarbeit, die das Arbeitsamt gar nicht leisten kann", sagt Gisela Tripp. Mit eineinviertel Planstellen. Klar, sagt Gisela Tripp, seien immer einige dabei, die sich vom Arbeitsamt schlecht beraten oder mies behandelt fühlen. Doch erstens seien das Einzelfälle und zweitens gingen manche Arbeitslose auch mit überzogenen Vorstellungen zum Vermittlungsgespräch. Ihre Erfahrung und die ihrer Kollegin Bertrix Heßling: "Die Arbeitslosen kritisieren eher die Politik als die Vermittler, die dennoch den geballten Frust abbekommen." Fakt sei: Die Politiker hätten über viele Jahre hinweg einen Dschungel von Gesetzen und Verordnungen geschaffen, den man mit der Machete roden müsste, um wieder Durchblick zu gewinnen. Sie selber, so Gisela Tripp, habe den Anspruch, Paragraphen auswendig zu können, längst aufgegeben. Hinzu komme, dass die Arbeitsverwaltung eine tief greifende Umorganisation hinter sich habe, inklusive Stellenabbau, bei gleichzeitig steigenden Anforderungen. Dass sich etwa die Zahl der Vermittler nicht an der Arbeitslosenquote orientiere, sondern an der Bevölkerungszahl, sei eine Farce. Folge: Ein vergleichbarer Arbeitsamtsbezirk in Süddeutschland sei personell exakt wie der Dortmunder ausgestattet. "Obwohl die Quote hier über 14 und dort vielleicht unter sieben Prozent liegt." Im Job-Aqtiv-Gesetz von Arbeitsminister Walter Riester vermag Gisela Tripp den Befreiungsschlag nicht zu erkennen. Eher fürchtet sie das Gegenteil: Dauerarbeitplätze, die flöten gehen; Zeitarbeitsfirmen, die ihre Mitarbeiter, vor allem ausländische, ausbeuten. Auch im Zusammenhang mit der Kombilohn-Debatte stelle sich die Frage: "Haben wir wirklich einen Niedriglohnsektor, der so viele Jobs her gibt?" Die IHK Dortmund habe mit nein geantwortet. Die eigentliche Aufgabe bestehe darin, einen regulierten Arbeitsmarkt zu schaffen. Doch dazu sei Politik nicht fähig. Den hohen Druck gebe sie an die Arbeitsämter weiter - die an ihre Mitarbeiter. Und die Folgekosten verfehlter Arbeitsmarktpolitik würden "auf die Kommunen abgewälzt". Von Frank Fligge

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