Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite über uns SoFoDo-Aktionen / -Veranstaltungen Vortrag von Daniel Kreutz in der Veranstaltung „Hände weg vom Sozialticket“

Vortrag von Daniel Kreutz in der Veranstaltung „Hände weg vom Sozialticket“

— abgelegt unter:

Wenngleich ich heute nicht in dienstlichem Auftrag, sondern in privater Mission hier bin, können Sie davon ausgehen, dass das, was ich Ihnen vortrage, im Wesentlichen den Auffassungen des Sozialverband Deutschland (SoVD) in NRW entspricht. Nach Auffassung des SoVD ist Mobilität eine Grundvoraussetzung für soziale Teilhabe. Und es ist Aufgabe des ÖPNV als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, diese Grundvoraussetzung auch und gerade für die ärmeren Bevölkerungsschichten zu gewährleisten.

Die Stadt Köln hat bei der Anhörung des Landtags im April darauf hingewiesen, dass auch Freizeitmobilität die Chancen Erwerbsloser auf berufliche Eingliederung verbessere, und dass das Kölner Sozialticket daher auch beschäftigungspolitisch wichtig sei. Daher unterstützt der SoVD mit Nachdruck die Zielsetzung, zu einem möglichst flächendeckenden Angebots von Sozialtickets in Nordrhein-Westfalen zu kommen. Von der Ausgestaltung her wären fünf Punkte zu berücksichtigen, damit Sozialtickets ihren Zweck wirklich erfüllen können.

In einem ersten Punkt ist das Dortmunder Sozialticket bislang landesweit beispielhaft. Mit 15 Euro im Monat entspricht der Preis ziemlich genau dem Betrag, der nach herrschender Meinung bei Hartz IV im monatlichen Regelsatz für Erwachsene für Verkehrsdienstleistungen vorgesehen ist. Mehr als der Regelsatzanteil ist bei den unzureichenden Regelsätzen auch kaum zumutbar. Wenn man für ein Monats-Sozialticket 28,40 Euro bezahlen muss – das ist der Preis in Köln -, führt das entweder zu nicht hinnehmbaren Einschränkungen bei anderen lebensnotwendigen Ausgaben oder zum erzwungenen Verzicht auf soziale Teilhabe durch Mobilität - oder man drängt die Leute zum Schwarzfahren.

Zweiter Punkt: Man muss berücksichtigen – und darin ist Köln besser als Dortmund -, dass die Mobilitätsbedarfe im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen. Die einen müssen vergleichsweise viel fahren, andere aber nur wenig. Solche Unterschiede sind oft durch objektive Gegebenheiten bedingt. Wenn man gute Infrastrukturen im Wohnumfeld hat - also etwa günstige Einkaufmöglichkeiten, die Ärzte, die man braucht, und Freizeitangebote -, dann muss man viel weniger Bus oder Bahn fahren als wenn vieles davon weiter entfernt liegt. Andersrum kann es sein, dass man wegen einer chronischen Erkrankung oft zu einem Facharzt am anderen Ende der Stadt muss, oder dass man häufig fahren muss, um sich ehrenamtlich zu engagieren oder an politischen Veranstaltungen teilzunehmen. Aus solchen Gründen brauchen die einen ein Monatsticket, während für andere vielleicht schon ein 4er-Ticket in zwei Monaten ausreicht.

Wenn es als Sozialticket aber nur ein Monatsabo gibt, dann stehen diejenigen, die nur wenig fahren müssen, vor der problematischen Alternative, ob sie sich teure 4er-Tickets zum Regeltarif kaufen oder vielleicht doch schwarz fahren. In Dortmund kommt man mit dem Regelsatzanteil von 15 Euro für zwei 4er-Tickets (2 x 8 €) nicht ganz hin. Wenn man den einen Euro noch drauflegt, hätte man vier Fahrten hin und zurück, also etwa eine Fahrt pro Woche. Für jemand, der nur wenig fahren muss, kommt es kaum in Frage, jeden Monat die 15 Euro für das Monatsticket auszugeben, weil man das Geld ja dringend für andere notwendige Ausgaben braucht. Die Regelsätze sind halt insgesamt zu niedrig; besonders Eltern können ein Lied davon singen.

Deshalb sollten neben dem Monats-Sozialticket auch entsprechend verbilligte 4er-Tickets angeboten werden. In Köln gibt es im Rahmen des Köln-Passes das 4er-Ticket für 4,50 - statt regulär für 8,30 oder für 5,80 bei Kurzstrecke. Das wird auch stark nachgefragt. Neben den rund 23.500 Kunden des Monats-Sozialtickets werden rund 250.000 4er-Sozialtickets im Jahr verkauft.

Zur Anpassbarkeit der Tickets an individuelle Bedarfe gehört auch die Anpassbarkeit an Veränderungen des Bedarfs. Deshalb sollte das Monatsticket nicht nur im Abo verfügbar sein, sondern auch einzeln gekauft werden können.

Dritter Punkt: Wichtig ist auch, dass der Anspruch auf Sozialtickets nicht abhängig gemacht wird vom Leistungsbezug bei Hartz IV, Sozialhilfe usw. Leistungsbezug als Anspruchsvoraussetzung bedeutet zum einen, dass die Menschen ausgeschlossen sind, die ihren Anspruch auf Sozialhilfe oder Hartz IV nicht wahrnehmen können oder wollen. Die würden dann nochmals benachteiligt.

Zweitens fängt Armut nach amtlicher Definition nicht erst dort an, wo die Einkommensgrenzen von Hartz IV oder Sozialhilfe unterschritten werden. Betroffen sind auch Menschen mit geringen Einkommen oberhalb dieser Bedürftigkeitsgrenzen, die aber weniger als 60 % des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens haben. Das gilt etwa auch für manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor.

Beim Köln-Pass galt bis Mitte des Jahres eine Einkommensgrenze von 110 Prozent des Regelbedarfs, also 10 Prozent drüber. Am 30. Juni hat der Rat dann beschlossen, diese Grenze auf 130 Prozent anzuheben. Zum Vergleich: Die so genannte „Armutslücke“ – das ist das Maß dafür, um wie viel das tatsächliche Einkommen der Armen unter der Armutsgrenze liegt - wird für Nordrhein-Westfalen mit durchschnittlich 21,5 Prozent angegeben.

Vierter Punkt: Es sollte in der Regel kein gesondertes Antragsverfahren für das Sozialticket nötig sein. Denn jedes Antragsverfahren bildet eine Zugangsschwelle, an der immer ein Teil der Betroffenen hängen bleibt. Deshalb sollte die Sozialticket-Berechtigung bei allen Anträgen auf Fürsorgeleistungen automatisch von Amts wegen mit abgeklärt werden.

Und fünftens wäre dann noch eine Lösung für das Problem zu finden, dass es nicht nur im ländlichen Raum auch einen gelegentlichen Bedarf gibt, mal über die Stadtgrenzen hinaus zu fahren. Es darf nicht ausgeschlossen sein, dass arme Dortmunder Eltern mal mit ihren Kindern ins Bergbaumuseum nach Bochum fahren, oder vielleicht zu einer Veranstaltung der Kulturhauptstadt nach Essen, oder zu einem Fußballspiel auf Schalke (wenn sie die Karten von Freunden geschenkt kriegen). So was gehört zur soziokulturellen Teilhabe dazu – erst recht, wenn man an die Kinder denkt.

Deshalb brauchen wir Sozialtickets nicht nur für das Stadtgebiet, sondern auch auf der Ebene des Verkehrsverbunds. Und dafür wäre es sicherlich hilfreich, wenn das Land dafür förderpolitische Anreize schafft.

Das Dortmunder Sozialticket muss also nicht nur erhalten bleiben, vielmehr sollte es weiterentwickelt werden, um seine Zwecke für die Betroffenen besser als bisher erfüllen zu können. Es geht hier um die Gewährleistung eines Minimums an soziokultureller Teilhabe. Dieser Teilhabeanspruch ist Folge der Menschenwürde, deren Achtung und Schutz Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist. So fordert es das Grundgesetz. Und deshalb darf der Teilhabeanspruch nicht abhängig gemacht werden von der Haushaltslage.

Was Dortmund angeht, so haben allerdings die Dortmunder Vertreter bei der Landtagsanhörung den Eindruck erweckt, dass die Verkehrsbetriebe hier mit einer unsauberen Berechnung der tatsächlichen ungedeckten Nettokosten des Sozialtickets die Stadt über Gebühr finanziell in Anspruch nehmen. Köln rechnet anders. Dort sagt man, die Tickets tragen sich weitgehend selbst, weil es zusätzliche Kunden gibt und die Zahl der Schwarzfahrer gesenkt wird. [Zuschussbedarf 2009: 1,8 Mio. Euro zzgl. 250.000 Euro Bearbeitungskosten]

Zum Schluss will ich aber auch nicht verschweigen, dass Sozialtickets immer nur eine zweitbeste Lösung bleiben, die langfristig selbst überwunden werden sollte. Denn Sozialtickets für Bedürftige sind Teil einer zunehmenden Sonderstruktur zur Versorgung der Armutsbevölkerung: Kleiderkammern, Möbelkammern, Sozialkaufhäuser, die Tafeln, und Sozialtickets. Da werden zwar notwendige Lebensbedarfe gedeckt, aber so, dass man sich outen muss als einer, der’s nötig hat. Solche Sonderstrukturen haben auch etwas Stigmatisierendes, sind auch ein Stück sozialer Ausschluss von dem, wie sich die BürgerInnen üblicherweise in der Marktgesellschaft bewegen.

Deshalb brauchen wir dringend ausreichende Regelsätze, die wirksam vor Armut und sozialem Ausschluss schützen können. Und wir brauchen andererseits eine öffentliche Daseinsvorsorge, deren Einrichtungen für alle gleichermaßen zugänglich sind, unabhängig von Einkommen und sozialem Status. Sozialstaat ist nicht Sozialhilfestaat, der an jeder Ecke fragt: haste was oder biste arm? Der ÖPNV muss für alle zu gleichen günstigen Konditionen zur Verfügung stehen – ohne Regeltarife und Armentarife.

Die belgische Kleinstadt Hasselt hat dafür ein Beispiel gegeben. Die hat seit 1996 einen allgemeinen Nulltarif. Sie hat ihr Busnetz massiv ausgebaut und den innerstädtischen Autoverkehr weitestgehend zurück gedrängt, und sie ist auch wirtschaftlich gut damit gefahren. Das ist ein funktionierendes Stück gelebter Utopie.

Gemessen daran sind Erhalt und sachgerechte Weiterentwicklung des Dortmunder Sozialtickets vergleichsweise bescheidene und pragmatische Anliegen. Und ich wünsche Ihnen/Euch auf diesem Wege jeden Erfolg.

Daniel Kreuz in Dortmund, Veranstaltung im Wichernhaus am 05.11.2009

Artikelaktionen