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Bericht von der Leipziger Konferenz am 11.09.04

Für den 11. Sept. 04 riefen Vertreter der gegenläufigen Leipziger und Berliner Vernetzungstreffen (28.08.) bundesweit "Organisationen der sozialen Bewegung, Sozialbündnisse, Organisatoren von Montagsdemonstrationen, Sozialverbände [und] Gewerkschaften" zu einer Konferenz in Leipzig ein, um die Spaltung zu überwinden und sich auf einen gemeinsamen Termin für eine bundesweite Demonstration zu verständigen.

So habe ich das Treffen in Erinnerung

Edith Bartelmus-Scholich 13.09.2004

Liebe Leute,
ich war als Delegierte des NRW-Netzwerks gegen Sozialkahlschlag auf dem Treffen und wurde am Ende der Versammlung in den Ko-Kreis gewählt. Nachstehend fasse ich die Ergebnisse, aber auch meine Eindrücke und Einschätzungen von der Konferenz in Leipzig aus dem Gedächtnis zusammen. Von der Konferenz gibt es auch ein Protokoll, aber dieses liegt mir noch nicht vor.

Um das wesentlichste schon einmal vorauszuschicken. Es ist in Leipzig nicht gelungen, einen gemeinsamen Demotermin zu vereinbaren. Die MLPD war zwar da, aber nicht wirklich verhandlungsbereit.

Der Besuch der Konferenz war m.E. zufriedenstellend. Es waren über 170 Leute aus 54 Städten anwesend. Der überwiegende Teil von ihnen war mit Mandaten von Montagsdemo-Bündnissen, Bürgerinitiativen usw. ausgestattet. Mehr als zwei Drittel der TeilnehmerInnen kam aus dem Osten, sehr viele von diesen Leuten gaben zu erkennen, dass sie sich noch nie vorher politisch betätigt hatten. Es war deutlich, dass eine ganze Anzahl von Delegationen aus Städten dabei war, die auch am Leipziger Treffen 28.8.04 teilgenommen hatte, z.B. Torgau, Senftenberg, Osterholt, Frankfurt/Oder, Dortmund, Leipzig. NRW war zahlenmäßig sehr gering vertreten.

Neben den Basisaktivisten von den Montagsdemos waren auch politische und gesellschaftliche Kräfte anwesend. Ich habe einige wenige Ver.di und IG-Metall KollegInnen getroffen. Attac war mit 10 – 15 bekannten Leuten da, in der Diskussion haben aber auch Leute von PDS, Linksruck und SAV gesprochen. Auch BüSo war am Start; es traten dabei die gleichen Leute auf, die sich bei der Attac Sommerakademie als Anhänger der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell eingeführt hatten. Die MLPD war mit ca. 15 Mitgliedern anwesend, darunter mit Dieter Ilius, Reinhard Funk und Günter Slave 3 ZK-Mitglieder.

Die Tagungsleitung lag in Händen von Peter Strothmann (Attac) und Matthias Dittmann (Aktionsbündnis Leipzig). Unter dieser Leitung nahm die Tagung einen geregelten, aber nicht gedrosselten Verlauf. Die Tagesordnung wurde wie folgt vorgeschlagen:

  1. Einschätzung der politischen Situation (und Bedeutung f. die Bewegung der Montagsdemos)
    2. Terminierung des 2. Oktober 2004
    3. Formulierung der inhaltlichen Forderungen für die Protestdemonstration
    4. Vorbereitung der Mobilisierung in den einzelnen Städten
    5. Finanzierung der Protestdemonstration und Kundgebung
    6. Diskussion über weitere Protestformen

Die Tagesordnung wurde zuerst kontrovers diskutiert, da es einen Antrag gab, den Punkt Finanzierung auf 2 zu setzen und zudem von Dieter Ilius im Auftrag des Berliner Bündnisses Montags gegen Agenda 2010 die Anträge 1. Punkt 2 und 3 zu tauschen, Punkt 2 in eine Beschlussfassung Termin 2. oder 3. Oktober zu verändern und als neuen Tagesordnungspunkt direkt nach der Diskussion der politischen Lage „Verhältnis der Konferenz 11.9.04 Leipzig zu der Konferenz 28.8.04 Leipzig“ in die Tagesordnung aufzunehmen.

Die Tagungsleitung schlug dann vor, den Punkt „Terminierung 2. Oktober“ im Sinne einer Entscheidung 2. oder 3. Oktober zu behandeln und ließ zu allen anderen Vorschlägen inhaltlich diskutieren und abstimmen. Dabei zeigte sich, dass die Tagesordnung wie vorgeschlagen mehrheitsfähig war. Sehr deutlich sprachen sich die TeilnehmerInnen dafür aus, zuerst über den Termin, dann über die Inhalte zu diskutieren. Bei der Aussprache über den Vorschlag den Punkt „Verhältnis der Konferenz 11.9.04 Leipzig zu der Konferenz 28.8.04 Leipzig“ aufzunehmen, meldeten sich verschiedene Delegationen zu Wort, die am 28.8.04 in Leipzig dabei waren und nicht für notwendig hielten, diesen Punkt aufzunehmen. Die Konferenz Leipzig 28.8.04 hat für sie den Stellenwert eines nützlichen Gedankenaustauschs, sie vertreten nicht die Ansicht der MLPD, dass dies die eigentlich konstituierende Versammlung der Bewegung gewesen sei. Ein Leipziger Mitglied des am 28.8.04 bestimmten Koordinierungskreises berichtete, dass am 28.8.04 13 Leute in einen Ko-Kreis gewählt wurden. Die Liste mit den Namen und Kontaktdaten habe dann Dieter Ilius an sich genommen und diese Liste sei bislang nicht mehr aufgetaucht. Nach diesen Beiträgen und der Gegendarstellung durch die MLPD stimmten 13 Leute für den Antrag von Dieter Ilius, der damit abgelehnt war.

In der Diskussion zur politischen Lage und ihre Bedeutung für die Montagsdemos gab es die unterschiedlichsten Ansätze. Dieter Ilius vertrat, dass es schon jetzt an der Basis Programm sei, die Regierung zu stürzen; 30.000 Leute hätten in Berlin begeistert dieser Forderung zugestimmt. Dagegen traten RednerInnen auf, die sich pessimistisch zeigten, auch nur Hartz IV zu Fall zu bringen und lieber den Schwerpunkt auf Verbesserungen im Detail oder Begleitung der Betroffenen legen wollten. Die pessimistischen Töne kamen vor allem von organisierten Leuten, wohingegen die Basisaktivisten Hartz IV wohl mehrheitlich kippen wollen. Es war auffällig, dass die Stimmung im Saal während der Debatte deutlich sank. Zweifel kamen auf, ob das überhaupt schon eine Bewegung sei, ob die Proteste noch zunehmen könnten, ob die Politik sich überhaupt noch auf Zugeständnisse einlassen würde und ob die Bewegung ihre Alternativen darstellen könne.

An diesem Punkt habe ich einen Redebeitrag gehalten. Ich habe die bisherigen Ergebnisse der Montagsdemos (Anfang einer selbstständigen Massenbewegung mit neuen Gesichtern, kleine Korrekturen an Hartz IV, aber auch Zurückstellen der Zusatzversicherung für den Zahnersatz)gewürdigt und deutlich gemacht, dass heute niemand sagen kann, was diese Bewegung alles erreichen kann, dass es aber ganz falsch wäre, jetzt die Forderungen zu minimieren. Ich habe aufgemacht, dass es jetzt darauf ankommt, den Druck zu erhöhen, bei der Forderung „Hartz IV muss weg“ zu bleiben und dass es dazu unbedingt notwendig ist, die Spaltung der Bewegung zu überwinden und zu einer Zusammenarbeit aller Kräfte ohne jeglichen Führungsanspruch zu kommen. Dafür habe ich sehr viel Zustimmung erhalten.

Beim Tagesordnungspunkt 2, Demo-Termin 2. oder 3. Oktober, zeigte sich ganz deutlich, dass über 90% der Anwesenden für einen gemeinsamen Auftritt in Berlin waren. Während die Argumente für die Termine ausgetauscht wurde, verteilten die MLPD-Mitglieder einen Flyer, der zum Sternmarsch 3. Oktober aufrief und natürlich auch die Losung „Weg mit Hartz IV – Das Volk sind wir!“ enthielt. Das wurde von der Versammlung negativ aufgenommen. Bei ganz wenigen Gegenstimmen entschied die Versammlung, die Demo am 2. Oktober durchzuführen. Ausschlaggebend waren folgende Argumente: 1. Am 2., einem Samstag, ist Berlin belebt; die Demo kann Zuwachs von den BerlinerInnen erhalten. 2. Eine bundesweite Veranstaltung an einem Samstag mit anschließendem Erholungstag am Sonntag findet mehr Akzeptanz bei denen, die weit anreisen müssen. 3. Am 2. finden auch in anderen europäischen Ländern Demonstrationen gegen Sozialabbau statt. Das stärkt die internationale Solidarität. 4. Am 3. sind fast alle großen Plätze in Berlin von angemeldeten Volksfesten zum Feiertag belegt. 5. Eine Demo am 3. Oktober könnte zum besonderen Anziehungspunkt von Neo-Nazis werden. Im Anschluss an die Abstimmung wurde eindringlich von vielen TeilnehmerInnen an die Delegation der MLPD appelliert, sich dem Termin 2.10. anzuschließen, leider umsonst.

Zu Tagesordnungspunkt 3, inhaltliche Forderungen, wurden vielfältige Vorschläge gemacht. Es war deutlich, dass die anwesenden Basisaktivisten „Weg mit Hartz IV“ in den Mittelpunkt stellen wollen. Die organisierten TeilnehmerInnen fühlten sich aber alle mit einer so verkürzten Forderung nicht wohl. Sie orientierten auf Alternativen, die dargestellt werden müssten, dabei waren auch Vorschläge, die ich unter „Nachbesserungen“ einstufen würde. Der Forderungskatalog wurde sehr schnell umfangreich, da viele organisierte TeilnehmerInnen für diesen Punkt schon Vorschläge mitgebracht hatten, die in ihren Gremien erarbeitet worden waren. Ich habe eingebracht, dass um die Mehrheit der Menschen in der Bewegung zu vertreten, es tatsächlich geboten sei, die zentrale Forderung dieser Bewegung „Hartz IV muss weg“ auch als solche aufzustellen, dass es kein Abrücken von dieser Forderung geben dürfe. Für diesen Beitrag hatte ich eine sehr große Zustimmung aus den Reihen der Basisaktivisten. Nach ungefähr 1 Stunde und 30 Redebeiträgen, wurde vorgeschlagen, dass gleichzeitig zum Fortgang des Plenums eine Arbeitsgruppe gebildet werden sollte, die unter Berücksichtigung der vorgestellten Ideen bis zum Ende der Tagung einen Vorschlag für einen zentralen Aufruf erarbeiten sollten.

  1. Minuten vor Ende der Tagung teilte dann die Arbeitsgruppe mit, dass sie sich in der Kürze der Zeit leider nur auf einen „Arbeitstitel“ für einen Aufruf verständigen konnte und stellte den Antrag unter dem Arbeitstitel „Soziale Gerechtigkeit statt Hartz IV – Wir haben Alternativen“ unter der Leitung von Werner Halbauer weiter arbeiten zu dürfen. Dieser Vorschlag fand die Zustimmung der Mehrheit. In der konkreten Situation gab es auch keine Alternative dazu.

Nicht angesprochen wurden Fragen, die den Charakter der Demonstration betreffen. Es wurde nur geklärt, dass jeder mit eigenen Aussagen aufrufen kann und dass Propaganda-Freiheit bestehen soll. Die RednerInnenliste wurde noch überhaupt nicht diskutiert, es wurde auch kein Beschluss gefasst, ob es auf der Demo ein offenes Mikrophon geben soll.

Zu Tagesordnungspunkt 4, Mobilisierung, gab es nur wenige konkrete Vorschläge. Im wesentlichen soll auf den Montagsdemos aufgerufen werden. Es soll auch eine Website unter www.aufnachberlin.de eingerichtet werden.

Bei Tagesordungspunkt 5 zeigte sich, dass die Finanzierung noch ungeklärt ist. Es gibt zwar schon eine Einzelspende von mehreren Tausend Euro von einem begüterten Aktivisten, aber das ist alles.

Unter Tagesordnungspunkt 6, weitere Aktionsformen, zeigten sich dann wieder neue Konfliktlinien. Unter den wenigen konkreten Vorschlägen wurde von Ronald Blaschke, dem Sprecher der Sächsischen Armutskonferenz, eingebracht, dass am 3. Oktober in Berlin ein „Ratschlag“ der Aktivisten einberufen werden sollte, wo inhaltliche Vorschläge und Ideen diskutiert werden sollten. Karsten Brettschneider, verantwortlich für die Attac Sommerakademie, führte dagegen in der Diskussion aus, dies sei nicht möglich, weil Attac es in der kurzen Zeit nicht schaffen könne, Experten zu dem Thema zu gewinnen und es mache ja schließlich keinen Sinn, dass die Betroffenen ohne solche Experten Alternativen beraten. Zu diesem Vorschlag gab es dann nach meiner Erinnerung keinen Beschluss, d.h. auch diese Idee liegt jetzt irgendwie in der Sphäre des Ko-Kreises.

Unter diesem Tagesordnungspunkt machte dann Günter Slave von ZK der MLPD viel zu spät und darüber hinaus vage, die Einlassung, man solle doch einmal über gleichberechtigte Zusammenarbeit reden und fügte gleich hinzu, für die MLPD hieße dies u.a. dass der Ko-Kreis von Leipzig der ihnen nahe steht, die Hälfte der RednerInnen auf der Demo bestimmen solle. An dieser Stelle und in dieser Form war das leider untauglich.

Insgesamt ist auf der Konferenz noch einmal deutlich geworden, dass die Bewegung gegen Hartz IV sehr unterschiedliche Leute zusammen bringt. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen macht politisch die ersten Schritte, sie entscheiden aus ihrer Betroffenheit heraus und bevorzugen konkrete Vorschläge. Die Minderzahl ist politisch erfahren und in den verschiedensten Zusammenhängen aktiv, sie wissen genau, welche Vorschläge sie in die Bewegung hineintragen wollen. Hier ist Sensibilität von allen gefordert, dabei so vorzugehen, dass die Bewegung eine eigene Identität entwickeln kann und dass die neu hinzu kommenden Menschen nicht durch Formen und Methoden abgeschreckt und ausgeschlossen werden.

Dies ist in Leipzig nicht gelungen. Am Ende der Versammlung meldeten sich verschiedene Basisaktivisten aus dem Osten zu Wort und sagten, dass sie es satt sind jedes Mal den „Streit unter West-Linken“ miterleben zu müssen. Sie kritisierten auch, dass von allen Seiten fertige Vorschläge eingebracht werden, ohne, dass an der Basis eine Diskussion geführt wird. Auch die Sprache viele Leute ist ihnen zu theoretisch.

Ich finde, diese Kritiken sind berechtigt. Das Verhalten vieler Linker, die jetzt in der Bewegung tätig sind, ist m.E. geeignet, die Sympathien für Ideen und Organisationen von links schwinden zu lassen. Wir müssen alles tun, damit sich das ganz schnell ändert. Dabei finde ich es wichtig, auch nicht immer nur die Methoden der MLPD zu betrachten. Auch eine Sprache oder Formen der Zusammenarbeit, die die Menschen ausschließt oder ihnen die gleichberechtigte Zusammenarbeit erschwert, sind nicht dienlich.

Für mich gab es in Leipzig keinen Zweifel, dass die Konferenz recht gut die Bewegung und auch die unterschiedlichen Kräfte in ihr widergespiegelt hat. Die Mehrheitsbeschlüsse dieser Konferenz möchte ich daher als richtungsweisend empfehlen.

e-Mail:: edithbartelmusscholich@hotmail.com

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