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Wahlprüfstein 1: Mobilitätsbedarf von Hartz IV-Empfängern

Was wollen Sie tun, um zu verhindern, dass ärmere Mitbürger immer mehr aus der heutigen Mobilitätsgesellschaft ausgeschlossen werden? Das haben wir in der ersten Augusthälfte einige der hiesigen Direktkandidaten für den kommenden Bundestag gefragt.

 

Was wollen Sie tun, um zu verhindern, dass ärmere Mitbürger immer mehr aus der heutigen Mobilitätsgesellschaft ausgeschlossen werden? Das haben wir in der ersten Augusthälfte einige der hiesigen Direktkandidaten für den kommenden Bundestag gefragt (über abgeordnetenwatch.de). 

Unsere Frage an die Kandidaten hatten wir wie folgt begründet:

Mobilität ist kein Luxusartikel. Doch in NRW kann sich ein(e) Hartz IV-Empfänger/-in ohne Einschränkungen bei anderen Ausgaben nicht mal ein „Sozialticket“ leisten. Trotz Landesförderung. Von gelegentlichen Fahrten über die eigenen Stadt- bzw. Kreisgrenzen hinaus ganz zu schweigen.

Man kann es nur abenteuerlich nennen, wie das Bundesarbeitsministerium die im Rahmen der EVS 2018 empirisch erhobenen, ohnehin nicht gerade üppigen Ausgaben unterer Einkommensgruppen für die Nutzung von „fremden Verkehrsdienstleistungen“ (im wesentlichen Bus und Bahn, aber auch gelegentliche Fahrten mit Eisenbahn oder Taxi) in Höhe von durchschnittlich 47,01 € in mehreren Rechen­schritten auf angeblich existenznotwendige 35,16 € heruntergerechnet hat.* Fürs Jahr 2021 wurde daraus ein monatlicher „Bedarf“ von 36,05 € abgeleitet. Nur zum Vergleich: Ein Sozialticket kostet im VRR aktuell 39,35 €, im VRS sogar 42,80 €.

* siehe Begründung zum ursprünglichen Gesetzentwurf, BT-Drucksache 19/22750 v. 23.9.2020, S. 27 f.

 

Hier die wichtigsten Passagen aus den Antworten der Kandidaten (in der Reihenfolge ihres Eingangs):


Marco Bülow, Ex-SPD'ler und Kandidat von Die Partei

Die Hartz Gesetze sind die unsozialsten Gesetze die eine Regierung - in diesem Fall SPD und Grüne - je beschlossen haben. Ich bin auch nicht dafür hier jetzt nur an einigen Symptomen herumzudoktern - sondern ein ganz neues System zu schaffen. Dabei darf es keine Denkverbote geben und auch die Diskussion über das Grundeinkommen muss einbezogen werden.


Roman Senga, FDP, muss etwas mißverstanden haben, denn seine Antwort lautete zunächst:

In meiner Person würden Sie einen Bundestagsabgeordneten gewinnen, der nicht nur irgendetwas aus einem Wahlprogramm "nachplappert", sondern tatsächlich den öffentlichen Nahverkehr nutzt. Oder ganz wichtig, aus bestimmten Gründen nicht nutzt. (es folgen einige Beispiele für aus seiner Sicht unverhältnismäßige Fahrpreise)

Autofahren ist oftmals günstiger als der Öffentliche Nahverkehr. Das weiß man aber als Bundestagsabgeordneter nur, wenn man den Öffentlichen Nahverkehr auch nutzt, und nicht nur darüber redet.

Auf Nachfrage, wieso er sich nicht zur Mobilitätsarmut von Hartz IV-Empfängern äußert („Kaum ein Hartz IV-Empfänger hat wie Sie überhaupt die Chance, auf einen PKW auszuweichen“), kam von Senga schließlich folgende Ergänzung:

Hartz4 ist zum Glück lediglich eine Grundsicherung, für eine hoffentlich niemals und wenn dann, hoffentlich nur sehr kurze Phase im Leben. Ich möchte mich als Bundestagsabgeordneter darauf konzentrieren, dass möglichst wenige oder noch viel lieber, gar keine Menschen mehr auf Grundsicherung angewiesen sind.

Aha. Also kein Handlungsbedarf, verstehen wir das richtig?

 

Klaus Wegener, CDU

Danke für Ihre Frage. Ich habe mich schon immer dafür ausgesprochen, dass Anspruchsberechtigte für die Bedarfssätze nach dem SGB II grundsätzlich Anspruch auf kostenlose Fahrten im gesamten ÖPNV haben sollten. Diese Haltung werde ich auch weiterhin vertreten.

Diese Antwort dürfte einige überraschen, denn die CDU ist bislang nicht damit aufgefallen, dass ihr die Mobilitätsbedürfnisse einkommensschwacher Haushalte besonders am Herzen lägen. Sollte Herr Wegener in den Bundestag gelangen, wird er in seiner Fraktion mit dieser Idee einen schweren Stand haben, denn im Wahlprogramm der CDU für ein "modernes Deutschland" ist von einem solchen Anspruch von Leistungsempfängern auf kostenlose Nutzung des ÖPNV nichts zu finden.

 

Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen

Die Hartz IV-Regelsätze liegen seit Jahren auf einem derart niedrigen Niveau, dass sie die tatsächlichen Bedarfe nicht decken, auch nicht die Mobilitätsbedarfe. Sie gehen an der Lebensrealität deshalb völlig vorbei. Die Bundesregierung hat die Chance vertan, das Regelsatzermittlungsverfahren grundlegend zu reformieren. Stattdessen wurden die Regelsätze nur um geringe Beträge erhöht und weiter politisch klein gerechnet. Für die Empfänger*innen bedeutet das, dass sie weiterhin vom sozialen und kulturellen Leben ausgeschlossen bleiben.

Wir wollen die Regelsätze schrittweise auf ein existenzsicherndes Niveau anheben. Dazu haben wir ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zur Berechnung der Regelsätze vorgestellt. Verdeckt arme Menschen werden dabei aus der Vergleichsgruppe herausgerechnet und es wird auf Streichungen einzelner Bedarfe verzichtet. Außerdem orientieren wir uns bei den Berechnungen an dem Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den tatsächlichen Lebensbedingungen, wie es vom Bundesverfassungsgericht 2010 eingefordert wurde. In einem ersten Schritt werden wir den Regelsatz um mindestens 50 Euro und damit spürbar anheben. Die Leistungen der Garantiesicherung wollen wir schrittweise individualisieren. Die Anrechnung von Einkommen werden wir deutlich attraktiver gestalten, sodass zusätzliche Erwerbstätigkeit immer zu einem spürbar höheren Einkommen führt. Jugendliche in leistungsempfangenden Familien sollen ohne Anrechnung Geld verdienen dürfen. Vermögen werden künftig unbürokratischer und mit Hilfe einer einfachen Selbstauskunft geprüft. Das Schonvermögen wollen wir anheben.

 

Von Jens Peick, dem Kandidaten der SPD, war bis heute (10.9.) keine Antwort zu vermelden. Andere Dortmunder KandidatInnen für den Bundestag wurden von uns mit dieser Frage nicht angeschrieben.

Die vollständigen Antworten könnte Ihr unter https://www.abgeordnetenwatch.de/bundestag/kandidierende?politician_search_keys=44135
nachlesen, dort den betreffenden Kandidaten und dann die entsprechende Frage anklicken.

 

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Nachtrag am 14.9.2021
Jetzt ist doch noch eine Antwort von Herrn Peick (SPD) eingegangen. Sie lautet wie folgt: 

Die Mobilität der Zukunft, gerade in Großstädten wie Dortmund, wird noch mehr durch den ÖPNV geprägt sein. Dies ist auch aus Klimaschutzgründen eine unerlässliche Entwicklung. Meiner Meinung nach, muss der innerstädtische ÖPNV für alle Nutzer*innen noch günstiger werden und für Menschen, die z.B. staatliche Transferleistungen oder kleine Renten beziehen, muss eine kostenlose Nutzung möglich sein. Die Bundesländer sind in der Pflicht, die Kommunen bei dieser Entwicklung nachhaltig zu unterstützen. Die Teilhabe aller Menschen, auch derer mit geringen Einkommen, am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen ist für mich ein zentraler Pfeiler meiner politischen Überzeugungen.

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