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Kindergrundsicherungsgesetz: Auf der Kippe

„Armutsbekämpfung ist auf der Regierungsagenda ganz nach hinten gerückt“ (Christoph Butterwege)

 

Auf der Kippe

Debatte um Kindergrundsicherung. Gastkommentar
Von Christoph Butterwegge

 

Mit der Kindergrundsicherung wollte die Ampelkoalition nach drei Jahrzehnten weitgehender armutspolitischer Untätigkeit des Bundes der um sich greifenden Familienarmut begegnen. Sie trifft besonders viele Alleinerziehende, meist Mütter, ausländische und Mehrkinderfamilien. 21,8 Prozent aller jungen Menschen wachsen hierzulande in Familien auf, die nach EU-Kriterien einkommensarm oder zumindest armutsgefährdet sind. Wenn ein so großer Teil der nachwachsenden Generation abgehängt und häufig das ganze Leben lang in fast allen Bereichen diskriminiert wird, kann sich die Gesellschaft nicht friedlich, sozial und demokratisch entwickeln. Gebündelt und leichter zugänglich gemacht werden sollten das Kindergeld, das Bürgergeld und die Sozialhilfe für junge Menschen, der Kinderzuschlag sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes. Geplant war ein für alle Familien gleicher Kindergarantiebetrag, der dem bisherigen Kindergeld entspricht, sowie ein altersgestaffelter und einkommensabhängiger Kinderzusatzbetrag, der den Kinderzuschlag und das Bürgergeld für Kinder ersetzt.

Kaum hatten erste Sondierungsgespräche für den Bundeshaushalt 2024 begonnen, geriet die Kindergrundsicherung in den Strudel sich zuspitzender Verteilungskämpfe zwischen den Koalitionspartnern. Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) bezifferte die durch Einführung der Kindergrundsicherung entstehenden Mehrkosten ohne eine überzeugende Berechnungsgrundlage mit zwölf Milliarden Euro jährlich. Dieser ins Schaufenster gestellte Betrag provozierte Finanzminister Christian Lindner (FDP), der auf Einhaltung der »Schuldenbremse« pochte, Steuererhöhungen ablehnte und gegen die Grünen einen Kostenrahmen von 2,4 Milliarden Euro durchsetzte.

Befremdlich wirkte, dass sich die SPD trotz eindeutiger Beschlusslage der Parteigremien zur Kindergrundsicherung aus dem Zwist ihrer Koalitionspartner weitgehend heraushielt und Kanzler Olaf Scholz selbst dann keinen Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz machte, als die Streitigkeiten im Kabinett eskalierten. Nach einem 15 Monate dauernden Streit über die konkrete Ausgestaltung der Reform steht die Kindergrundsicherung seit dieser Woche endgültig auf der Kippe, zumal die höchste Klippe für den Gesetzentwurf, der von CDU und CSU dominierte Bundesrat, erst ganz am Ende des parlamentarischen Verfahrens wartet. Paus trug ihre Forderung nach 5.000 Stellen für die Familienservicestellen zur Verwaltung der Kindergrundsicherung den Vorwurf ein, damit ein »Bürokratiemonster« zu schaffen. Nun droht die zuständige Fachministerin und mit ihr das grüne Prestigeprojekt krachend zu scheitern. Armutsbekämpfung ist auf der Regierungsagenda ganz nach hinten gerückt.

 

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Soeben erschien sein Buch »Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung«


entnommen aus: junge welt v. 13. April 2024

 

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