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BMAS und Jobcenter bestreiten institutionelle Diskriminierung, aber Zweifel bleiben

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Die Antworten auf unsere Kritik an der Arbeitshilfe „Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger“ überzeugen uns nicht.

 

Wir hatten Ende letzten Jahres eine gemeinsame Erklärung zu der genannten Arbeitshilfe der Bundesagentur für Arbeit verfasst und diese zwecks Stellungnahme an das Bundesarbeitsministerium, die Bundesagentur für Arbeit (BA) und das Dortmunder Jobcenter geschickt. Siehe unseren Eintrag vom Februar unten ("Ein besonders gut ausgefüllter Antrag ist in den Augen der BA bereits verdächtig").

Sowohl das Ministerium als auch das hiesige Job-Center haben im Frühjahr auf unsere Forderung, die Arbeitshilfe zurückzuziehen, geantwortet. Die entsprechenden Briefe haben wir hier zu Eurer Kenntnis eingestellt – siehe die links am Ende des Textes. 

Ferner gab es zu der Angelegenheit am 15. Juni auch ein Gespräch mit der JC-Leitung. Hintergrund: Das Jobcenter hatte sich offenbar über einen Artikel im Rundbrief der Kana Suppenküche („Generalisiertes Misstrauen“) aufgeregt und daraufhin Kana zu einem Gespräch ins Job-Center eingeladen. Von unserer Seite nahmen Colin Fischer (für Kana) und Helmut Szymanski für das Sozialforum teil. 

 

Das BMAS streitet in seiner Antwort ab, dass die Arbeitshilfe, wie von uns behauptet, nur Leistungsanträge von Angehörigen bestimmter EU-Staaten bzw. Ethnien betrifft und diesen gegenüber durchweg ein Anfangsverdacht auf (organisierten) Leistungsmissbrauch gehegt werde.

Zwar wird in dem Schreiben eingeräumt, dass so Verdächtigte in erster Linie Opfer sind (und nicht die eigentlichen Täter), dennoch geht das Ministerium nicht auf die Not ein, in die Betroffene aufgrund der restriktiven Prüfpraxis leicht geraten können (und tatsächlich ja auch geraten).

Offen bleibt zudem, wie man sich denn als nicht-deutscher EU-Bürger verhalten soll, um sich in den Augen der Behörden nicht verdächtig zu machen.

 

Das alles überzeugt uns nicht. Unsere Einschätzung dazu:

So wie das Hartz IV-Regime dazu erdacht wurde, Arbeitslose dazu zu zwingen, geringerwertige und schlechter bezahlte Arbeit anzunehmen, so zwingt die Verweigerung gesetzlicher Leistungsansprüche Zuwanderer aus Rumänien oder Bulgarien dazu, sich auch noch auf die krassesten Arbeitsangebote einzulassen.

Die Urheber der entsprechenden Regulierungen werden in beiden Fällen bestreiten, dies als Zweck verfolgt zu haben, aber die Ergebnisse – und auf die kommt es letztlich an – geben uns in beiden Fällen recht. Das Gros der genannten Zuwanderer finden wir in ungeschützten, prekären Arbeitsverhältnissen – in Sektoren, für die deutsche Arbeitskräfte kaum zu gewinnen sind (Schlachtbetriebe, Erntehelfer, Tagelöhner auf dem Bau und im Großmarkt, Gelegenheitsarbeiten in Subunternehmen des Reinigungs- und Transportgewerbes, u.ä.).

Die Regulierungen generieren also geradezu die Verhältnisse, die sie offiziell zu bekämpfen vorgeben, sorgen für immer neuen Nachschub an willigen Menschen.

Nebenbei werden die Leistungsabteilung und sogar die Arbeitsvermittlung, das ist ein weiterer wichtiger Kritikpunkt, zu Teilen des ordnungsbehördlichen Apparats umfunktioniert. Dafür gibt es gerade in der Arbeitshilfe zahlreiche Hinweise – bis hin zur Empfehlung, auf örtlicher Ebene zur Erkennung und Bekämpfung „bandenmäßigen Leistungsmissbrauchs“ eng mit anderen Dienststellen und Behörden – etwa Zoll, Polizei, Ausländerbehörde, Staatsanwaltschaft, Gewerbeamt und Finanzamt – zusammenzuarbeiten, am besten in Form regelmäßiger gemeinsamer Besprechungen. 

Die Arbeitshilfe ist, bürokratisch herunter gebrochen bis ins letzte Detail und nur scheinbar wertfrei, eine perfekte Jagdanleitung, um vorgebliche „Schmarotzer“ fernzuhalten – und sie könnte sich des Applauses rechts-nationaler Kreise gewiss sein. Die darin angelegte Abschreckungspolitik bekämpft den Zustrom von Arbeitsmigranten insbesondere aus Bulgarien und Rumänien und bedient dabei klar antiziganistische Ressentiments.

 

Und was die Haltung des Dortmunder Jobcenters angeht: Auch wenn die Handreichung im JC nicht oder allenfalls teilweise zur Anwendung kommt, geben wir doch zu bedenken, dass sie zumindest atmosphärisch bei den Mitarbeiter*innen nicht ganz ohne Wirkung bleiben wird. Von daher hätten wir es begrüßt, wenn es eine ausdrückliche Anweisung an die Mitarbeiter gegeben hätte, die genannte Arbeitshilfe bei der Prüfung von Anträgen ganz außen vor zu lassen. Statt sich darüber aufzuregen, dass jemand von „draußen“ die Arbeitshilfe kritisch unter die Lupe nimmt. Diesen Schritt mag die Leitung des hiesigen JC jedoch nicht gehen, wie auch noch einmal bei dem Gespräch im Juni deutlich wurde.

 

Antwort des Bundesarbeitsministeriums v. 21.2.2020 hier

Antwort des JobCenters Dortmund v. 4. Mai 2020 hier

Die Arbeitshilfe der BA i.d.F. vom Feb. 2019 hier

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