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Zurück ist nicht möglich

Wer freiwillig für einen Euro pro Stunde bei der »hamburger arbeit« einsteigt, kann nicht mehr aussteigen. Bald 10 000 Menschen in der Hansestadt in Beschäftigungstherapie?

Aus: junge Welt vom 18.11.2004; von Andreas Grünwald, Hamburg

»Schlimmer als im Knast«, hatte Tammo von Ley seinen Beitrag in der jW vom 13. November überschrieben. Er hatte Arbeitspraktiken beim größten Hamburger Beschäftigungsträger, der »hamburger arbeit« (HAB), untersucht. Die HAB hat schon jetzt 1 200 Ein-Euro-Beschäftigte »angestellt«. Insgesamt verfügt der Träger über 2 500 Plätze. 10 000 Ein-Euro-Jobs sollen in Hamburg zum 1. Januar 2005 zur Verfügung stehen. Doch schon jetzt weiß die HAB kaum, wie sie die Mitarbeiter sinnvoll einsetzen soll. Teppichstücke werden geschnippelt, um sie anschließend in den Mülleimer zu befördern, Mauern werden gemauert und geputzt, um sie zum Dienstschluß wieder umzureißen. Maler bestreichen Wände, um sie dann wieder abzuwischen. Keine Anleitung und keine sinnvolle Arbeit. Ist das die Zukunft für bundesweit geplante 600 000 bis eine Million Ein-Euro-Jobber?

Der Beitrag in der jungen Welt löste in Hamburg eine Lawine aus. Betroffene meldeten sich zu Wort. Jeden Tag gibt es neue Schlagzeilen in der lokalen Presse. Die Bild-Zeitung spricht vom »Ein-Euro-Wahnsinn«. Die Gewerkschaften, so Hamburgs DGB-Vorsitzender Erhard Pumm, bewerten die bekanntgewordenen Zustände als »Beschäftigungstherapie«, die die Betroffenen demoralisiert und ihre »Qualifikationen entwertet«. Pumm spricht von der »Verschleuderung der Gelder der Beitragszahler«.

»Etwas Sinnvolles tun« Eine derjenigen, die sich öffentlich zu Wort meldeten, ist die 48jährige Ein-Euro-Jobberin Marlies. Ihr Einstieg bei der HAB sei freiwillig gewesen. Sie wollte etwas »Sinnvolles tun«. Nun will sie lieber heute als morgen wieder aussteigen. Die Behandlung sei menschenunwürdig. Doch von ihrer Sachbearbeiterin im Sozialamt, die sie zugewiesen hatte, erfährt die Frau, daß ein Zurück nicht mehr möglich sei.

Jedem Arbeitslosen in Hamburg wolle die Agentur für Arbeit und die Stadt ab 1. Januar 2005 ein Angebot unterbreiten. Den Schwerpunkt bilden dabei die Ein-Euro-Jobs. Der Begriff Job ist irreführend, denn es handelt sich um Arbeitsgelegenheiten ohne Vertrag, bei denen der Betroffene rechtlos ist. 160 Euro könne ein Erwachsener so zum neuen »ALG II« dazuverdienen. Doch es funktioniert nicht. Nach den Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentlichen Interesses, die das Sozialgesetzbuch vorschreibt, dürfen nur Tätigkeiten ausgeübt werden, die nicht durch sozialversicherungspflichtig Beschäftigte verrichtet werden. Städtische Aufgaben oder die der öffentlichen Hand gehören nicht dazu.

Hektisches Treiben bei HAB Jetzt ist auch die Hamburger Politik aufgeschreckt. CDU-Arbeitsmarktexpertin Natalie Hochheim sagte am Dienstag, daß Arbeit nicht dämlich sein dürfe, und Claudia Steinbach, Sprecherin der Wirtschaftsbehörde, kündigte eine Prüfung der Vorfälle an. Auch bei der HAB herrscht nun hektisches Treiben. Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz räumte Geschäftsführer Scheele am Mittwoch freimütig ein, daß er den Bericht »in dieser Zeitung aus Berlin« zunächst nicht ernst genommen habe. Scheele versucht jetzt, in die Offensive zu kommen. Dafür hat er zum Pressetermin auch gleich Bernhard Proksch, Amtsleiter der Behörde für Wirtschaft und Arbeit, mitgebracht. Scheele verweist auf 400 Arbeitsplätze in seiner Arbeitsagentur und weitere Kooperationsarbeitsplätze, die die HAB bei Partnern habe. Das seien ganz normale Arbeiten. Nur in der Vorbereitungsphase gebe es diese »Übungseinheiten«. Ein Journalist fragte nach, wie lange denn eine solche Phase dauern würde: Bis zu sechs Monate, räumte Scheele ein. Auf Anfrage von jW, welche Rechte ein Ein-Euro-Beschäftigter denn habe, ob es eine geregelte Form der Interessenvertretung gebe, sagte der ebenfalls anwesende Betriebsrat Hassler: Darüber habe man schon nachgedacht. Er sprach von einer Art »Schülervertretung«. Aber gesetzlich sei nichts geregelt.

Die »hamburger arbeit«, so ihr Geschäftsführer, befinde sich unter einem enormen Wettbewerbsdruck. Die Fallkostenpauschalen würden sinken und die Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentlichen Interesses schränkten Arbeitsmöglichkeiten ein. Scheele sprach dann von Kindertagesstätten und Wohlfahrtsbereichen. Die Journalisten fragten nach: Was ist daran zusätzlich? Würden darüber nicht reguläre Arbeitsplätze verdrängt? Es meldete sich Amtsleiter Proksch zu Wort. Er vertrat die These, daß alles das, wofür es keine Haushaltsmittel mehr gäbe, zusätzlich sei. Später, bei der Besichtigung einer seiner Betriebsstätten, räumte Scheele selbst ein, daß er, kämen die Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentliches Interesses tatsächlich zur Anwendung, eher die Gefahr eines Kollapses für den gesamten Bereich sieht. So könne der neue Markt nicht funktionieren.

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