Initiative für einen Politikwechsel
Horst Schmitthenner
Für ein soziales Bündnis
Was uns die Bundesregierung mit Agenda 2010, Hartz-Gesetzen, Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentendebatte usw. als "Reform"-Politik präsentiert, sind Leistungskürzungen, massiver Druck auf Erwerbslose, Privatisierung von Risiken, Umverteilung der Lasten von oben nach unten.
Die Opposition aus CDU/CSU und FDP steht bereit, das alles noch zu übertreffen: "Kopfpauschalen" in der Krankenversicherung, völlige Privatisierung der Rente, ersatzlose Streichung der Arbeitslosenversicherung, Angriffe auf Tarifautonomie, Kündigungsschutz und tariflich regulierte Arbeitszeit zur Schwächung der Gewerkschaften. Das zielt auf eine Gesellschaft ohne jede solidarische Sicherung.
Beide, Regierung und Opposition, behaupten, ohne diese "Reformen" drohe der wirtschaftliche Kollaps. Nur wenn die Arbeit billiger werde, könne die Erwerbslosigkeit abgebaut werden. Nur tiefe Einschnitte könnten die sozialen Sicherungssysteme retten. Wer anderer Meinung ist, wird als Neinsager oder Blockierer abgestempelt.
Wir verkennen nicht die Schwächen des bisherigen Sozialstaates. Insbesondere Frauen fallen durch die Maschen des sozialen Netzes. Aber auch repressive Elemente etwa in der Sozialhilfe und auch im Arbeitsalltag finden nicht unsere Zustimmung. Es gäbe und gibt vieles zu verbessern.
Wir stellen fest: Was als "Reform" bezeichnet wird, entpuppt sich als blanker Sozialabbau. Die Formel "weniger Sozialstaat = mehr Beschäftigung" geht nicht auf. Was die Wirtschaft ankurbeln soll, bewirkt eine weitere Schwächung der Konjunktur.
Die Proteste der letzten Wochen haben gezeigt: Wir sehen nicht tatenlos zu, wie der Sozialstaat kaputt gemacht wird, wie das Solidarprinzip in unserer Gesellschaft vom Konkurrenzprinzip verdrängt wird. Wir widersprechen der Behauptung, dass diese Politik "alternativlos" sei. Es steht viel auf dem Spiel – es geht um unsere Zukunft.
Wir streiten für
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einen Richtungswechsel zu einer sozialen Reformpolitik·
eine Bewegung, die demokratische und soziale Reformalternativen wieder auf die Tagesordnung bringt.
Wir gehören unterschiedlichen Organisationen, Initiativen bzw. Bewegungen an und bringen unterschiedliche Politikerfahrungen mit. Uns führt die Sorge um die Zukunft einer solidarischen Gesellschaft zusammen. Wir wissen, dass wir einen langen Atem im "Kampf um die Köpfe" brauchen. Schrittweise kann sich eine soziale Bewegung entwickeln, wozu wir beitragen wollen.
Eine soziale Bewegung lebt vom Engagement vieler Menschen vor Ort – in der Gemeinde, im Wohnviertel, am Arbeitsplatz. Deshalb wollen wir helfen, ein Netzwerk lokaler Bündnis-Initiativen und öffentlicher Aktionen zu initiieren und zu unterstützen.
Sozialstaat ist nötig
Weil sonst die großen Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Armut die Einzelnen rasch erdrücken. Weil soziale Perspektivlosigkeit und Verzweiflung menschenunwürdig sind und schließlich auch die Demokratie und den sozialen Frieden gefährden.
Sozialstaat ist möglich
Indem endlich ernst gemacht wird mit dem Verfassungsgrundsatz von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, so dass die starken Schultern die Lasten der Schwachen mittragen. Unser Problem ist nicht ein Mangel an Reichtum, sondern die falsche Verteilung.
Sozialstaat ist Verfassungsauftrag
Die Bundesrepublik ist nach dem Grundgesetz ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ist also um die soziale Komponente erweitert. Dies bedeutet, dass der Inhalt der Gesetzgebung und die Auslegung von Gesetzen sich am sozialstaatlichen Auftrag des Grundgesetzes zu orientieren haben.
Es steht viel auf dem Spiel!
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Es geht darum, ob wir künftig in einer Gesellschaft mit sozialem Zusammenhalt und Lebensqualität für alle leben wollen oder in einer Gesellschaft nach US-amerikanischem Muster mit großer sozialer Ungleichheit, Ausgrenzung und Existenzangst.
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Junge gegen Alte, Beschäftigte gegen Erwerbslose, Gesunde gegen Kranke, Deutsche gegen "Ausländer", Stärkere gegen Schwächere – wir wehren uns gemeinsamen dagegen, gespalten in die Ellenbogengesellschaft getrieben zu werden.
Wir brauchen Reformen
Wir können den Sozialstaat nicht erhalten, indem wir alles lassen, wie es ist. Ein Vierteljahrhundert wachsender Massenerwerbslosigkeit hat seine finanziellen Fundamente untergraben. Die mutigen Reformen, die wir brauchen, müssen deshalb vor allem die Finanzbasis des Sozialstaats stärken und seine Leistungsfähigkeit den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen entsprechend weiterentwickeln.
Die paritätische Finanzierung unserer Sozialversicherung darf nicht weiter zu Lasten der Versicherten abgebaut werden. Dazu ist es vor allem erforderlich, dass die wirtschaftlich Stärkeren in unserer Gesellschaft, insbesondere die Vermögenden und die großen Kapitalgesellschaften, entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angemessen zur Finanzierung unseres Gemeinwesens beitragen.
Durch die Einführung einer Bürgerversicherung (aller Erwerbstätigen) würde nicht nur die Einnahmebasis der sozialen Sicherungssysteme verbreitert und stabilisiert, sondern auch gerechter gestaltet werden.
Alternativen sind möglich!
Der Staat ist nicht arm, er hat sich durch die vielen Steuergeschenke der letzten Jahre, vor allem an die Unternehmen und Reichen, arm gemacht. Allein durch die Reform der Körperschaftssteuer fehlen seit 2001 insgesamt über 40 Mrd. Euro in den öffentlichen Haushalten.
Deutschland ist ein reiches Land. Der öffentlichen Armut steht ein riesiger privater Reichtum gegenüber. Dieser Reichtum ist aber sehr ungleich verteilt. So ist trotz Wirtschaftskrise die Anzahl der Millionäre im letzen Jahr noch einmal um 25.000 gestiegen.
Notwendig ist eine Steuerreform, die sich am Maßstab der sozialen Gerechtigkeit orientiert und diejenigen, die viel haben, stärker an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt. Große Unternehmen sowie hohe Einkommen und Vermögen müssen zur Stärkung der Staatsfinanzen herangezogen werden. Statt den Armen immer größere Opfer abzuverlangen, müssen sich die Belastungen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit richten. Allein die Wiedereinführung einer reformierten Vermögensteuer und eine höhere Besteuerung großer Erbschaften könnte zu Mehreinnahmen von jährlich 20 Mrd. Euro führen. Milliarden könnten bei der militärischen Rüstung eingespart werden. Militärische Rüstung und Sozialabbau verschärfen Konflikte, statt ihre Ursachen zu beseitigen.
Anforderungen an eine solidarische Gesellschaft:
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Vorrang des Solidarprinzips vor dem Konkurrenzprinzip·
Erwerbslosigkeit abbauen:·
Solidarische Absicherung aller mit eigenständigen Ansprüchen·
Gebühren- und barrierefreies Bildungswesen·
Europaweite Sozialstaatsstandards - globale Finanzmärkte regulieren·
Drastische Reduzierung der Rüstung zugunsten sozialer Aufgaben
Diese Anforderungen an eine solidarische Gesellschaft vorzuschlagen, reicht alleine nicht aus. Wir müssen stark werden gegen mächtige Interessen. Dazu sind breite Bündnisse, Aufklärung, Zukunftsdebatten, Aktionen und Bewegung erforderlich.
Frankfurt am Main, 23. November 2003